Geliebte kleine Gewitterwolke …

… was hast du mit meinem kleinen Mädchen gemacht? Geht’s ihm gut? Du siehst ihm so unglaublich ähnlich, wie Du da liegst und mich aus deinen blauen Murmelaugen wütend anfunkelst. Ich schaue mich im Schuhgeschäft an der Kasse ratlos um, ob ich womöglich einem anderen Kind mit blonden Zöpfen versucht habe, die Jacke zuzumachen. Aber weit und breit ist kein anderes Kind zu sehen. Dieser kleine Wutzwerg, der so aus heiterem Himmel die Laune ändert und innerhalb von zwei Tagen zur tickenden Zeitbombe geworden ist, das bist du.

Der Gatte nimmt das zeternde Kind auf die Schultern und sagt gelassen “dann friert’s Dich halt ein bisschen”. Ich drehe mich nochmal um und gucke in die Gesichter der beiden Verkäuferinnen hinterm Tresen. Ihr Lächeln ist festgetackert. Ihre Augen sagen “Na die hat das Gör ja prima im Griff. Nicht.”

Einmal um die nächste Ecke gebogen, fängst Du auf Papas Schultern an zu singen. Die Gewitterwolke hat sich verzogen, innerhalb von wenigen Augenblicken. Wir versuchen, gelassen zu bleiben und die Ruhe zu genießen, denn es ist in diesen Tagen grundsätzlich die sagenumwobene Ruhe vor dem Sturm. Und der nächste kommt bestimmt. Einen Anlass gibt es dafür aus elterlicher Sicht nicht immer. Dass ich Deine Jacke zumachen möchte, ist in meiner Welt kein Drama. In Deiner schon. Dass Du nicht in die andere Richtung laufen kannst wie wir, alleine in einer fremden Stadt, auch. Dass man den Schwan nicht streicheln kann, dass es draußen regnet, dass ich Deinen Müsliriegel schon ausgepackt habe, auch. Die Ungerechtigkeit der Welt hat sich über Deinem Köpfchen versammelt und plagt Dich, wo sie nur kann. Und Du, die Du überfordert bist mit Deiner plötzlichen Wut, lässt sie eben da raus, wo Du grade bist. Beim Bäcker, im Schuhgeschäft, unter dem Küchentisch.

Wir Großen sitzen abends im Bett und flüstern uns Mut zu. Wir machen das schon richtig. Es ist nur eine Phase. Nur eine Phase. Sicher. Sie sucht ihre Grenzen, wir setzen sie ihr. Wir bleiben gelassen. Andere Kinder sind sicher noch viel schlimmer. Wir müssen da einfach durch. Alle drei. Wir nehmen die kleinen Tobsuchtsanfälle mit Gelassenheit, mit Humor, mit der gebotenen Ernsthaftigkeit an und lassen, wo nötig, Konsequenzen folgen. Nicht, um Dich zu ärgern, sondern um Dir zu zeigen, was geht und was nicht.

Wir lächeln uns an und wachsen noch ein bisschen mehr zusammen. Und lachen heimlich gemeinsam über die Sätze, die wir doch nie sagen wollten. “Wir diskutieren jetzt nicht, Du machst, was ich sage, weil ich Deine Mama/Dein Papa bin.” “Wenn Du noch einmal … , dann …”. “Ich zähle bis drei, dann …”

Es gibt Tage, an denen ich das Gemaule und Gebocke besser ertrage. Sogar drüber lachen kann, was Du überhaupt nicht lustig findest. Eine stampfende Zweineinhalbjährige, die “KEEEEEEEKS” sagt, ist halt schon auch drollig. Und es gibt Tage, an denen ich Dich echt auf den Mond schießen könnte. Ich ahne nur jetzt schon, was für ein Drama das wäre, bis Du in der Raumkapsel sitzt und angeschnallt bist, deswegen lasse ich den Gedanken sofort wieder fallen.

Und dann, wenn der Tag vorbei ist und wir die großen und kleinen Kämpfe ausgefochten haben, liegen wir Kopf an Kopf in Deinem Bett und Deine kleine Hand tätschelt meinen Oberarm. “Hab Dich lieb, Hannah”, flüstere ich ins Dunkel. “Ich Dich auch”, flüsterst Du zurück. Und das, kleines Gewitterwölkchen, ist zum Glück nicht nur eine Phase. Diese Liebe bleibt.

PS: Wir sind seit Samstagabend übrigens wieder daheim vom See. Es war schön, obwohl das Wetter überhaupt nicht einsichtig war. Die Bilder sind auf der Fähre zwischen Wallhausen und Überlingen, in Überlingen und auf der Reichenau entstanden. Das Fräulein ist wesentlich entspannter, seit wir wieder daheim sind. Vielleicht gibt ihr die gewohnte Umgebung wieder die dringend benötigte Stabilität. Und wenn es gar nicht besser werden sollte, kann ich ja doch mal bei der NASA die Anschnallpflicht für Raumkapseln erfragen. Ich lieb die Kleine schließlich bis zum Mond und zurück. 😉

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