Kein Herz, kein Hirn oder beides?

“Hallo, ich bin’s!” – wie habe ich mich gefreut, die Stimme meiner Hebamme an der Gegensprechanlage zu hören. Damals, als ich mit meiner Tochter aus dem Krankenhaus daheim war und es kaum erwarten konnte, ihr endlich endlich mein kleines Mädchen zeigen zu können. Ich hatte elf Tage übertragen und war die Letzte aus meinem Geburtsvorbereitungskurs, die endlich ihr Kind in die Arme nehmen konnte. Und wie sehr hat es mich beruhigt, dass sie mit ihrer ruhigen Art zugehört hat, nachgefragt hat, mir bei Startschwierigkeiten zur Seite gestanden hat. Zum Beispiel, als sie abends um zehn vor der Tür stand und mir geholfen hat, meine plötzlich auftretenden grässlichen Schmerzen einzuordnen und zu behandeln. Hätte ich sie nicht gehabt, hätte ich fiebernd, frisch entbunden, mit Mann und Säugling in die Notaufnahme fahren müssen.

Nun aber weiß ich – ich hätte das alles gar nicht gebraucht. Sagt zumindest die stellvertretende Pressesprecherin des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherungen in einer Sendung vom NDR. Ann Marini meint: “Freiberufliche Hebammen? Brauchen wir nicht.”

Man müsse sich in jedem Berufsstand nämlich vor dem Schritt in die Selbstständigkeit überlegen, ob es sich lohne. Als ich das hörte, musste ich erstmal schlucken. Frau Marinis Argument ist sicher richtig. Wenn es um einen Zimmermannsbetrieb geht oder um eine Autowerkstatt. Nur, dass der Mechaniker sich aussuchen kann, wieviel er von einem Kunden verlangt. Die Hebamme ist an feste, vorgeschriebene Sätze gebunden. Sie kann also entweder wenig arbeiten und fast nichts verdienen, oder soviel arbeiten, dass sie davon leben kann. Dann sind, im Fall meiner Hebamme, das Wochenende und Feiertage, Nächte und lange Tage mit inbegriffen. Hebammen, so meine Erfahrung, machen den Job allerdings nicht, um sich eine goldene Nase zu verdienen. Sie lieben ihre Arbeit. Sie helfen Familien vor, während und nach der Geburt, mit der neuen Situation, mit einer ganz neuen Lebensphase zurecht zu kommen. In einem Land, das sich in jeder zweiten Talkrunde über den demographischen Wandel sorgt, allen Ernstes ausgerechnet den Berufsstand der Hebammen als unwichtig zu bezeichnen, ist nicht nur dreist, sondern idiotisch. Ich kenne viele Mütter, die bis zu 30 Hebammen abtelefoniert haben, bis sie eine für die Nachsorge gefunden haben, eben WEIL so viele schon ihren Beruf an den Nagel gehängt haben. Mit der Betreuung durch eine Hebamme während der Geburt ist es nämlich nicht getan. (Und selbst da hat eine Geburtshelferin oft mehrere Entbindungen gleichzeitig zu betreuen.)

Ist es nicht Auftrag der Krankenversicherungen, die Versicherten zu unterstützen und abzusichern, dass das frischgeborene Kind und die junge Mama die ersten Wochen optimal versorgt sind? Natürlich sind auch schon früher Kinder zur Welt gekommen ohne Hebammennachsorge. Aber ist es wünschenswert, jede Leistung des Gesundheitssystems in Frage zu stellen, nur weil es schon mal ohne ging? Was ist mit Krankengymnasten oder Physiotherapeuten? Lebensnotwendig sind die auch nicht. (Das beherzte Eingreifen einer Hebamme aber mitunter schon!) Der Beruf der Hebamme ist einer der ältestens überhaupt. Wer seine Bedeutung in Frage stellt, hat entweder selbst keine Kinder oder schlicht kein Hirn. Vielleicht sollte sich der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen dann auch mal fragen, ob er nicht zuerst an stellvertretenden Pressesprecherinnen sparen könnte.

Online-Petition zur Übernahme der Kosten für Hebammen unabhängig vom Geburtsort und Geburtstermin

5 Antworten auf „Kein Herz, kein Hirn oder beides?“

  1. Ich verstehe nicht, wieso die GKV eine ganze Berufsgruppe, eine mit Sinn und Tradition, auslöschen will, dann aber Millionen für Pseudomedizin und Esoterik ausgibt! Welche Lobbygruppen sind daran interessiert, freie Hebammen zu beseitigen? Das macht doch alles keinen Sinn, zumal es dem zahlenden Kassenmitglied imho schwer zu vermitteln ist! Was steckt politisch dahinter? Wer profitiert davon?

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