Ich und Herr Eigentlich

Ich war als Kind schon ein großer Fan von den Büchern von Roger Hargreaves. Seine Bücher von Herrn Schlampig, Ute Unentschieden und Herrn Glücklich fand und finde ich großartig. Auch Hannah mag Herrn Killekille und Herrn Lustig und wie sie alle heißen. Nur einen mag ich nicht. Den hat zugegebenermaßen nicht Roger Hargreaves erfunden, sondern ich selbst. Er heißt Herr Eigentlich und er wohnt in meinem Kopf.

Wenn ich mich morgens mit dem Kaffeebecher in der Hand zurücklehne und das Morgenrot über unserem Hausberg bestaune, sagt er nicht mal guten Morgen, der olle Unsympath. Er sagt: “Eigentlich wolltest Du heute nicht trödeln, denn auf Deiner to-do-list steht mal wieder viel zu viel.” Ich trinke also seufzend den letzten Schluck und will die Tasse in die Spülmaschine räumen, als ich merke, dass der Geschirrspüler noch voll ist mit sauberem Zeug. “Tja, den wolltest Du eigentlich gestern schon ausgeräumt haben, meine Liebe”, säuselt die Stimme. Ich stelle die Tasse auf die Spüle und fange an, auszuräumen. Kaum habe ich die Teller in den Schrank und das Kind ins Kinderzimmer bugsiert, ist er wieder da. “Eigentlich sollte man (MAN!) das Kinderzimmer längst mal wieder aufräumen. Wolltest Du nicht eigentlich das Bett frisch bezogen haben?” Halt doch mal den Rand, denke ich mir und ziehe das Kind an, dessen Sockenschublade ich eigentlich mal wieder … ach.

Herr Eigentlich ist immer dann zur Stelle, wenn ich das Gefühl habe, es läuft grad ganz gut. Wenn ich mir etwas gönnen will, wenn ich mich mit einer neuen Zeitschrift auf die Couch setze, wenn ich mich ans Klavier setze, wenn ich mir eine halbe Stunde Mittagsschlaf genehmigen will. Dann schleicht er sich von hinten an, setzt sich aufs Sofakissen, quetscht sich neben mich vor die Tasten oder zuppelt an meiner Bettdecke. “Eigentlich müsstest Du mal wieder abstauben. Eigentlich wolltest Du gestern schon staubsaugen. Den Trockner könnte man eigentlich ausräumen. Und wie sehen eigentlich die Fenster aus?”

Herr Eigentlich lässt mich nicht in Ruhe. Er macht nie Urlaub und ist ein ganz großer Klugscheißer. Und natürlich, das weiß ich, ist Herr Eigentlich ein Produkt meiner Ansprüche an mich selbst. Und weil ihn außer mir keiner sieht und hört, könnte er mir eigentlich scheißegal sein. Hin und wieder ignoriere ich ihn gekonnt. Wenn ich mit meiner Tochter grade im Hier und Jetzt bin und den Moment genieße, hat er keine Chance. Viel zu sehr konzentrieren wir uns aufeinander, kneten Teig, stechen Kekse aus, malen, kleben, basteln oder kochen. In diesen Augenblicken gibt es auf der ganzen Welt schlicht nichts wichtigeres zu tun.

An anderen Tagen, wenn ich die kinderlose Zeit verplane, nehme ich ihn viel zu wichtig. Versuche möglichst viel zu erledigen, hake Listen ab, erledige. Ich selbst und die Zeit nur für mich ganz alleine stehen hinten an. Daran sollte ich noch arbeiten. Eigentlich.

2 Antworten auf „Ich und Herr Eigentlich“

    1. Vielleicht sollten sich die Jungs dann einfach gegenseitig nerven … ? aber heute hatte Herr Eigentlich keine Chance. Wir waren erst im Spielzeugladen, dann im Herbstlaub spazieren und haben dann den Bauernhof aufgebaut und mit – ähem – Elefanten bestückt. Morgen hat dann wieder die Pflicht das Sagen. 🙂

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