Gummiband-Feeling

Mein Kopf ist voller Schubladen. Eine heißt “Haushalt”, eine heißt “Rund ums Kind”, eine heißt “Ehrenamt”, eine heißt “Arbeit” … und es gibt noch etliche andere. Und dann gibt es noch ein kleines Fach. Mehr so eine Loseblattsammlung. Der Umschlag ist abgegriffen und ein wenig vergilbt. Darauf klebt ein welliges Post-it, darauf steht: Meine Herzensprojekte. Und während der 24 Stunden, die mein Tag so hat, pendle ich zwischen den Schubladen hin und her. Das sieht dann etwa so aus.

Ich, am Laptop eine Mail aus der Kategorie “Ehrenamt” schreibend, Unterkategorie “wir sollten dringend / hast Du eigentlich schon / WICHTIG!”

Hannah: “Mama, ich will malen.”

Ich: tippend “In der Schublade Deiner Kommode ist Papier. Deine Stifte liegen auf Deinem Schreibtisch.”

Kind: “Aber ich will nicht alleine malen.”

Ich: “Dann komm zu mir, ich sitze am Esstisch.”

Ich lese den letzten Satz meiner Mail nochmal.

Kind: “Ich find aber kein Papier.”

Ich: “In der Schub-la-de in Deinem Zim-mer.” “Da ist aber keins meeeehr.”

Es scheppert. Wenige Blinzler später ertönt halbernstes Wehgeklage. “Ich  hab mir weeeh getan” Ich seufze und gehe nachsehen. Das Kind steht am Bücherregal. “Ich find kein Papier, hilfst Du mir suchen?” Ich ziehe wortlos die Lade der Kommode auf, drücke dem Kind Papier und Stifte in die Hand und gehe wieder.” “Ich will miiiiit.” “Ja dann komm doch, ich bin im Esszimmer.”

Ich setze mich wieder ans Laptop und lese den letzten Satz meiner Mail nochmal. Was wollte ich gleich noch hinzufügen? Das Kind wählt von sechs leeren Stühlen den neben mir und richtet sich zum malen häuslich ein. “Deine blöde Maus muss da weg.” “Schatz. Ich sitze aber hier und arbeite. Setz dich doch wo anders hin.” “ICH WILL ABER HIER SEIN.”

Ich starre auf den blinkenden Cursor. “Hilfst Du mir?” fragt das Kind. “Ich kann keine Haustür malen”, sagt es und deutet mit dem pinken Filzstift auf das völlig weiße Papier. “Dann mal doch was, was Du kannst”, schlage ich halbherzig vor. Gleichzeitig stelle ich fest, dass mein Magen knurrt. Mein Kopf lugt kurz in die Haushalts-Schublade und meldet – “Du hast kein Brot mehr. Der Bäcker hat noch eine Stunde offen.”

Ich lese den letzten halben Satz meiner Mail nochmal und füge einen weiteren Satz an. Währenddessen jammert das kleine Mädchen zu meiner Rechten, dass ich ganz doof sei und NIE mit ihr male. Ich argumentiere und erkläre, tippe “… finden Sie im Anhang”, nehme Hannah den pinken Stift aus der Hand und male eine Haustür ins Nichts. Sie kreischt, dass das ganz falsch sei, doch nicht da, und schon gar nicht pink und ich schicke seufzend die Mail weg. Natürlich ohne Anhang.

Sie zerknüllt beleidigt das völlig falschgemalte Bild mit der pinken Tür und stapft in ihr Zimmer.

Zwei Stunden später. Wir haben Brötchen geholt und sitzen friedlich am Tisch. Die mail ist ein zweites Mal verschickt, MIT Anhang. Die Schubladen in meinem Hirn öffnen sich im Minutentakt, während ich mit meinem Mann rede. Meine Zeitfenster für die nächsten Tage und Stunden füllen sich mit Wäsche, Einkauf, Essensplänen, Kindergartenterminen, “kannst Du für mich zur Zulassungsstelle”, “Du solltest bitte noch 30 Bienenkästen streichen”, “Mama, wann gehen wir eigentlich mal wieder auf den Spielplatz” und so weiter. Und während ich tapfer Schublade und Schublade aufräume und mich um Dinge kümmere, VERkümmert die arme kleine Loseblattsammlung. Sie landet ständig in der ganz untersten Schublade, in der, mit dem Etikett “später”.

Ich habe ganz oft das Gefühl, alle Welt zieht an mir. Hier fallen nachmittags Sätze wie “Mama, der Reißverschluss an meinem Mäppchen klemmt, Mama, meine Puppe hat ihre Socke verloren, suchst du die bitte, Mama, ich will nicht alleine spielen, Mama, ich hab Durst, Mama, ich hab Hunger, Mama, lies mir was vor, Mama, Mama, MAAMAAAA …” Und das in maximal zehn Minuten.

Und dann war da dieser Samstag. Der Mann, der arbeiten muss. Das Kind, das bei Oma übernachtet. Ich habe gestern bis in die späten Abendstunden Bienenkästen angepinselt. Ich habe heute Muskelkater aus der Hölle in den Oberschenkeln. Ich habe heute morgen eingekauft, Geburtstagsgeschenke besorgt, Mäppchen repariert, Post sortiert, Haustüren gemalt, Kissen geschüttelt, Puppensocken gefunden, Bücher vorgelesen. Einfach, um auf die Frage, “was hast Du denn heut mittag so wichtiges vor?” sagen zu können “NICHTS. Ich möchte einfach meine Ruhe haben. Und Dinge tun können, die NUR ICH möchte. Die ich MÖCHTE.”

Eins davon ist bloggen. Ohne Unterbrechung. Bis zum nächsten Termin habe ich noch zwei Stunden Zeit. ZEIT. Und ich werde sie genüsslich verbummeln. Ganz alleine. Ihr entschuldigt mich.

2 Antworten auf „Gummiband-Feeling“

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