“Erziehung ist Arbeit”. Wir waren uns dessen bereits bewusst, bevor ich wusste, dass sich da ein Würmchen in meinem Bauch eingenistet hatte. Dass es zermürbend sein kann, immer wieder nein zu sagen, dem Kind das mitzugeben, was man selbst für wichtig und richtig hält, dabei fair aber konsequent zu bleiben, haben wir an befreundeten Eltern und in der eigenen Familie gesehen und bewundert.
Unsere Tochter ist gerade mal ein halbes Jahr alt und noch kann man nicht viel an ihr herumerziehen. Ich beschwere mich auch gar nicht über ein knatschiges oder nörgeliges Kind. Ich bin vielmehr selbst die, die sich gegen erzieherische Einflüsse zur Wehr setzt. Noch lange bevor mein eigenes Kind mitbekommt, dass ich es erziehe (klammheimlich!), muss ich mein “Erziehungskonzept” rechtfertigen und mich ständig erklären, warum wir dies so und jenes anders machen.
Ich hatte schon in der Schwangerschaft keine Lust, mir drölf Ratgeber zu besorgen. Ein einziger Blick ins Internet reichte oft schon und mein gesundes, intrauterines Kind wurde aufgrund eines diffusen Zwickens irgendwo unten rechts plötzlich zur Eileiterschwangerschaft mit offenem Rücken und dramatischer Unterversorgung. Will sagen – ich habe meine Arzttermine brav wahrgenommen und darauf vertraut, dass ein fähiger Arzt und ein funktionierendes Ultraschallgerät derlei Missstände frühzeitig erkannt hätten. Und den Rest der Schwangerschaft habe ich mich auf die Kleine gefreut und ganz fest daran geglaubt, dass schon alles gut geht. So wie es die Natur vorgesehen hat.
Das Drama nahm während der Geburtsvorbereitung allerdings Fahrt auf. Mütter mit Geschwisterkind erzählten Schauergeschichten von Eisenmängeln, von hyperaktiven Kindern aufgrund von zuviel Koffein während der Schwangerschaft, diskutierten über Zusatzvitamine und die richtige Schlafposition. Ich klammerte mich an mein restliches bisschen Menschenverstand, das mir sagte, dass mein Körper mein Kind im Schlaf keiner Gefahr aussetzen, sondern mich zum umdrehen veranlassen würde, wäre meine Rückenlage derart lebensbedrohlich für das Ungeborene.
Jetzt ist die Kleine da. Wir gehen brav zu jeder U-Untersuchung und halten uns dafür von möglichst vielen Müttern fern. Ich habe womöglich eine konservative Erziehung genossen und daher gewisse Werte und Vorstellungen von daheim mitbekommen. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur empfindlich gegen den missionarischen Eifer, mit dem man mir wichtige Ratschläge gibt, nach denen ich gar nicht gefragt habe. Zu den Dingen, die ich im Moment, noch, wieder, oder einfach generell ablehne gehören…
1. Babyschwimmen. Ich bin eine Rabenmutter. Weil ich meinem Kind das Erlebnis “Baden im öffentlichen Chlor” vorenthalte. Wir baden – wie langweilig – in der heimischen Badewanne. Sie patscht und plantscht und es braucht vier Hände, um das glucksende, glitschige Bündel vorm Abtauchen zu bewahren. Aber es macht Spaß. “Ja aber es ist doch so wichtig, dass die Kinder in Interaktion mit anderen kommen und noch dazu im entspannenden Wasser…” Mein Kind interagiert nicht. Es guckt andere Babys mit großen Augen an und packt sie allenfalls am Pulli, um sich herumzuziehen. Und wenn ich sehe, dass vierzehn Maxi-Cosis langsam die feuchte Hallenbad-Luft in sich aufsaugen, während vierzehn Mütter auf dem Rücken liegen und ihre Babys auf dem Bauch sitzen haben, frage ich mich ernsthaft, ob das in der Badewanne daheim nicht wesentlich entspannter wäre? Ohne, dass Kinder und Mütter erst an-, dann wieder aus- und wieder angezogen werden, ohne Schwimmwindeln, ohne nasse Badesachen, ohne Wickeltasche, Babykekse in Tupper, Autofahren, Ein- und Ausladen und sieben nassen Handtüchern? Es ist so wichtig für die Kinder ins Wasser zu kommen? Soso. Ich konnte in der Grundschule noch nicht schwimmen, weil ich Wasser einfach doof fand. Heute ist Schwimmen mein erklärter Lieblingssport.
2. Baby-led-weaning. Heißt – Kinder bekommen nach der Milch keinen Brei, sondern essen mit ihrer eigenen Hand weichgekochtes Gemüse. Das Baby soll sich dabei selbstbestimmt füttern dürfen und Gelegenheit haben, Essen abzulehnen. Mein Kind lehnt Essen auch ab. Und zwar vehement und lautstark. Zucchini hält sie beispielsweise für Teufelszeug und lässt mich das auch wissen. Kürbis und Karotte vom Löffel geht stattdessen ganz prima. Ich sehe keinen Sinn darin, dass das Kind, um des “haptischen Erlebnisses” Willen unsere Küche mit Brokkolistückchen überziehen soll. Nicht, weil ich den Aufwand scheuen würde, jeden Tag den Boden nass zu wischen, sondern weil ich mich frage, wann das Kind denn lernen soll, dass man Essen eben NICHT herumwirft? Wieso sollte ich meinem Kind beibringen, dass man mit den Händen ins Essen greift und was nicht schmeckt wegwerfen darf? Nicht nur, dass ich so keine Ahnung habe, wieviel Essen in die Kleine hineinwandert, das, was auf dem Boden landet, ist dann einfach verschwendet. Ist das tatsächlich ein pädagogisches Konzept? Ich würde meinem Kind gerne beibringen, dass man nicht alles essen muss, was auf dem Teller ist und auch nichts, was man überhaupt nicht mag. Aber dass man alles probieren sollte, bevor man etwas ablehnt. Dass man mit Besteck isst und dass Lebensmittel kein Spielzeug sind. Aber ich bin ja auch von gestern.
3. Co-Sleeping. “Wie, Euer Kind schläft schon im eigenen Zimmer?” Ja tut sie. Und zwar gut. Und durch. Sie schläft gegen halb acht ein und wacht nach einer Stunde auf. Sie weint, Mama nimmt die Beine in die Hand, streichelt das Köpfchen, rückt den Schnuller gerade und sie schläft weiter. Manchmal bis morgens um halb sieben. Dann wacht sie auf und singt vor sich hin. Wenn ich in ihr Zimmer komme, wirft sie die Beine in die Höhe, wedelt mit den Ärmchen, strahlt über alle Backen und quietscht mich an. So sieht kein Kind aus, dass nachts von Verlustängsten geplagt nicht geschlafen hat. Zumal wir das Babyphone haben und sie hören, wenn sie weint. “Ja aber man hört so viel über den plötzlichen Kindstod bei Kindern, die alleine schlafen…” Was soll diese Angstmacherei? Dieses Szenario ist ein Alptraum für alle Eltern. Aber ich würde neben dem Kind schlafen, wenn etwas wäre. Ich würde schlafen. SCHLAFEN. Ob sie dabei einen halben Meter neben mir oder ein Zimmer weiter liegt, ich würde es verschlafen. Ich halte es hier wie in der Schwangerschaft – ich vertraue darauf, dass sie gesund ist, alle U-Untersuchungen zufriedenstellend sind und dass alles gut geht. Und trotzdem muss ich ihren Auszug ins Kinderzimmer verteidigen und nehme hochgezogene Augenbrauen und spitze Müttermünder in Kauf.
4. Die Krabbelgruppe. Dasselbe wie Babyschwimmen. Mein Kind möchte nicht interagieren mit anderen Kindern. Fragt mich in einem halben Jahr nochmal. Aber im Moment – nicht. “Es ist ja auch so wichtig, mit anderen Eltern den Erfahrungsaustausch zu pflegen” – Nein, es ist mir HIMMELANGST. Ich finde mein Kind toll, ohne Frage. Aber andere Kinder können schon viel mehr als meins. Ich warte nur darauf, dass eine Mitmutter erzählt, ihr Kind würde mit neun Monaten fragen, ob es kurz austreten darf und dann alleine aufs Klo gehen. Nee, is klar. Ich beschäftige mich den ganzen Tag mit der Maus, weiß, dass sie sich nach links und rechts drehen kann, aber nicht gerne auf dem Bauch liegt. Dass sie Kürbisbrei liebt und Zucchini verabscheut, dass sie beim Wickeln gerne die Zehen in den Mund steckt und dass das grün-rote Schmusetuch ihr Lieblingsstück ist. Wenn ich dann ein paar Stunden für mich habe, möchte ich nicht über Brei, nicht über Windelsorten und nicht über Schlafgewohnheiten sprechen. Ich möchte keine Heldengeschichten von Luca-Finn und Chayenn-Zoe-Clementine erzählt bekommen und auch nicht wissen, wie toll Jamie-Isabelle schon den Löffel halten kann. Jedes Kind entwickelt sich nach seinem Tempo und das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Und WENN ich schon mal Zeit habe, einen Kaffee in Ruhe zu trinken, dann möchte ich dies mit einer Freundin alleine tun, die mir etwas anderes zu erzählen hat als die Muttis von Maximiliane und Flora. Aber ich bin ja auch völlig soziophob.
Desweg