Ich kann mich nicht an viel erinnern, aber zwei Dinge sind mir von meinem ersten Kindergartenkontakt in Erinnerung geblieben. Ich durfte an der Hand meiner Mama die zwei möglichen Gruppen besuchen und mir eine davon aussuchen. Als mir aus einer Tür eine Nonne in schwarzer Tracht entgegen kam, hat mich das so erschreckt, dass ich mich unbesehen für die andere Gruppe entschieden habe. Meine Kindergartentante hieß also Patricia, trug Jeans und Pulli und ich liebte sie heiß und innig. Allerdings nicht von Anfang an. Denn gleich am nächsten Tag verabschiedete sich meine Mama von mir und versprach, mir eine Badewanne für meine Puppen zu schenken, wenn ich brav da bleiben und nicht weinen würde. Sie trug einen ockergelben Übergangsmantel mit riesigen Schulterpolstern (Jaja, die Achtziger), als sie über den Hof des Kindergartens durch den Regen zum Auto huschte. Ich sah ihr nach von der breiten Fensterbank aus, die ich den restlichen Vormittag nicht verlassen würde. Und natürlich heulte ich Rotz und Wasser. Aber die Badewanne bekam ich trotzdem.
Heute werden Kinder tatsächlich behutsam an den Kindergarten gewöhnt. Kein Kind muss ad hoc von heute auf morgen damit klar kommen, dass es vormittags jetzt mit fremden Kindern, einer fremden Frau und in einem fremden Haus spielen soll.
Seit einem halben Jahr liegt die Zusage für die Elefantengruppe hier. Wir haben Schnupperstunden-Termine bekommen und ein Heft, das wir ausfüllen müssen. Ich habe es durchgeblättert und dachte mir, “wie interessant. Und umfassend. Das machen wir dann … im Herbst.”
Dann war der Herbst um und es ward Dezember. Und ich dachte mir “gut, wir füllen das vor Weihnachten aus.” In sechs Tagen ist Heilig Abend. Und das Heft liegt unberührt da. Und guckt mich jeden Tag trotziger an. Denn während ich auf höfliche Nachfrage immer wieder sage “jaja, sie freut sich auf den Kindergarten, sie streichelt immer ganz liebevoll über ihren kleinen Rucksack, das wird ganz prima” ist da ein Gefühl in mir, das so aufdringlich ist, wie ein Schuh, der reibt. Ein “aber”, das seit Wochen in meinem Bewusstsein anklopft und mich an diesen neuen Abschnitt erinnert. Es ist das Loslassen, das so unmittelbar vor uns steht, an dem ich tatsächlich zu knabbern habe. Es wird das erste Mal sein, das ich mein Kind in die Obhut einer verwandtschaftlich nicht mit mir verbundenen Person gebe. Ihr die Verantwortung für meinen kleinen Lieblingsmenschen übertrage. Bevor jetzt jemand aufschreit “Du Helikopterglucke, das ist doch albern, die Kleine kommt im Kindergarten sicher wunderbar klar und darauf kommt es doch an” – pschschscht. Das WEISS ich. Das interessiert mein Mutterherz aber nicht, das jeden Tag beim Anblick des Kindergartenhefts ein bisschen aufjault.
Mir scheint, das mit dem Loslassen ist ein beidseitiger Prozess. Ich habe ja gar keinen Zweifel daran, dass die Kleine den Kindergarten toll finden wird. Auch nicht, dass sie absolut reif dafür ist. Dass dort gut auf sie aufgepasst wird. Dass sie viel Neues lernt und neue, erste Freundschaften knüpfen wird. Trotzdem gucke ich die kleine Brotdose an und habe einen Kloß im Hals. Ich bin andererseits auch ganz sicher, dass sich das doofe Gefühl nach ein paar Wochen legen wird. Und bis dahin freunde ich mich so gut ich kann mit dem Gedanken an, dass mein Baby keines mehr ist, sondern bald ein Kindergartenkind. Mit Rucksack, Brotdose und ganz viel Abenteuerlust. Wenigstens muss ich keine ockergelben Schulterpolster tragen. Aber wenn jemand ein Geschenk verdient hat, weil er den ganzen ersten Tag nicht geweint hat, dann bin das auf alle Fälle ich.