Manchmal brauchen Texte ein bisschen länger. Sie beginnen als diffuser Gedanke, formieren sich zu Ideen, werden fast greifbar und sind doch nicht so recht zu fassen. In mir fühlt sich das dann immer an, als würde eine Erkältung aufziehen. Man hört in sich hinein, stellt erste Anzeichen fest, kann das Gefühl aber nicht richtig einordnen. Daher ist das hier einfach der Versuch einer Annäherung an etwas, was mir seit geraumer Zeit auffällt.
Ich lese gerne andere Blogs und staune, wie professionell viele sind. Als ich vor zehn Jahren angefangen habe, meine abstrusen Alltagsgeschichten und -geschichtchen aufzuschreiben, war das alles, was dieses Bloggen ausmachte: Schreiben, Tagebuchbloggen, Erzählen. Je weiter sich die Bloggerei jedoch entwickelte, desto besser wurden die Schreiber. Mittlerweile hat jede Bloggerin, die was auf sich hält, drei selbstgemachte Fotohintergründe hinterm Sofa stehen, das abendliche Brotaufstrichrezept auf selbstgebackener Joghurt-Kruste wird in einer Lightbox abgelichtet und ausgeleuchtet, Schnappschüsse werden ad absurdum geführt, weil man vierunzwanzig Selfies macht, bis man eins für instagramtauglich erachtet. Und ja, mit MAN meine ich ein bisschen auch mich. Je länger ich in der Welt der Blogger, der Schönen und der Reichen unterwegs bin (und je mehr die Grenzen dazwischen verschwimmen), desto höher sind meine eigenen Ansprüche an mich. Wenn ich Fotos fürs Blog mache, räume ich vorher auf, wische Krümel vom Tisch und achte auf die Tageszeit wegen des Lichts. Und wenn ich bei anderen stöbern gehe, dann schaue ich mir ja auch selbst gern die schönen Bilder an. Heute zum Beispiel saß ich an einem Muttertagsgeschenk, das ich Euch vielleicht demnächst vorstelle, wenn’s was wird. Ich werkelte vor ich hin und meine Gedanken kreisten. Ich würde noch Blumen in der passenden Farbe besorgen, das kunstvolle Werk dann lässig an eins meiner großen Loftfenster hängen und die Blumen wie zufällig auf der Hochglanzkommode daneben abstellen. Dann fiel mir ein: Ich habe gar kein Loft. Und auf meiner Ikea-Kommode liegt Staub. Ich habe nicht mal eine weiße Wand, höchstens die, hinter der Toilette. Aber wollt ihr Fotos, für die ich mich auf den Klodeckel setzen müsste?
Überhaupt – wollt ihr polierten Content? Oder sind meine Ikea-Holztisch-Bilder nicht gerade authentisch? Um mich nicht um Kopf und Kragen zu reden – ich bewundere aufrichtig schöne Wohnungen, die monochrom daher kommen. Ich bewundere Kinderzimmer, die aussehen, als hätte sich eine Schwedische Designerin einen Showroom an Dreijährigem gebaut. Oft schon habe ich etwas Neues für mich entdeckt und hinterher lächelnd gedacht “instagram made me do it”. All das hat seine Berechtigung und ich werde auch in Zukunft leere Wasserflaschen aus dem Bild räumen und – ja doch – Staubwischen, bevor ich Fotos knipse. Aber echt jetzt, ihr lieben Leser in Horb am Neckar, in Dresden, Berlin, Marktredwitz, Lauscha und sonstwo – bin ich die Einzige, die gelbe Tapeten, pinke Teppiche und eine Küche mit Dingen auf der Ablage hat? Bin ich die einzige, die morgens nach dem Blick auf die Instagram-Timeline das Gefühl hat, sie müsste dringend auch mal mit der Pradatasche unter Magnolienbäumen hocken? Oder auf dem Eiffelturm einen Chai-to-go in frischmanikürter Hand ablichten? Oder halt eben auch nicht?
So sehr ich diese ästhetischen Bilder bewundere – mit MEINEM Leben haben sie herzlich wenig zu tun. Es gibt keinen namhaften Designer im Kinderzimmer, unser Spielzeug ist zum Teil vererbt von Papa oder selbstgemacht von Mama. Im Kinderschrank hängen H&M-Kleidchen, weil mir Ralph-Lauren-Jeans zum Durchrutschen einfach zu schade sind. Wir haben keine freistehende Kochinsel ganz in weiß, die aussieht, als hätte sie noch nie einen Fleck Soße gesehen. Ich bekomme übrigens auch keine hochwertigen Haarpflegeprodukte geschickt, die ich meinen Lesern vorstellen könnte. (Ich vermute, mir fehlt die Wallemähne. Das Argument lass ich gelten.) Und der Schocker – ihr setzt euch lieber hin: Wir essen kein selbstgebackenes Granola und auch keine hippen Chia-Overnight-Oats aus dem Glas mit Schraubdeckel, nachdem wir uns aus unserem blütenweißen Bettlaken geschält haben und im seidenen Morgenmantel im Esszimmer rumlümmeln. Jetzt ist es raus. Hier lebt eine mehr oder weniger ordentliche Kleinfamilie, die Lego auf einem orangen Teppich verstreut, die einen ausziehbaren und mittlerweile leicht verkratzten Norden-Esstisch von Ikea hat und morgens Flocken aus der Seitenbacher-Tüte in Milch ertränkt. Wir singen laut beim Frühstück, an guten Tagen auch mal Helene Fischer. Jim Knopf begleitet unser Waschritual im spießigen Bad mit Dekorfliesen und ja, wir haben einen Doppelwaschtisch und einen Puschelbezug auf dem Klodeckel. Wir basteln und lachen miteinander, wir streiten und schimpfen auch mal und haben uns alle bis ans Ende der Welt lieb.
Und nachdem ihr das jetzt alles wisst – mögt ihr mich trotzdem noch? (Falls Euch das jetzt zu unhip ist – just go ahead). Denn hier bloggt eine Mama frei von der Leber weg über sich, ihr mitunter störrisches aber meistens zuckersüßes Mädchen und die Sorgen und Nöte, die Eltern halt hin und wieder haben. Staubwischen muss ich trotzdem. Weil, halt.
Abgründe tun sich auf….
Wenn ich fürs Blog was fotografiere, nehm ich auch nen sauberen Teller und feg die Krümel von der Unterlage. Und gucke, daß auf dem evtl. gewählten Platzset kein Fleck ist – räusper – da sind manchmal welche drauf, wenn ich mi Joghurt kleckere…
Und ja – auch ich bin (wie Du ja erleben durftest) eher der “gewaschen und gekämmt”-Typ als der “gestylt-Typ.
Ich lebe in ner hübschen Wohnung, in der auch ne Menge Krempel ist.
Das Haus eines ehemaligen Kollegen wurde mal für ne Reportage fotografiert – seitdem weiß ich, daß das erstmal quasi alles rausgeschmissen wird, womit ne Familie so lebt. Und dann wird Homestaging betrieben.
Als ich irgendwann mal den Bericht über das tolle Leben einer glücklichen Familie gelesen habe und die Bilder sah: 3 Kinder (Kindergarten, Grundschule und irgendwas knapp über 10) und dann auf eine Wohn-Kochlandschaft sah mit weißem Tisch, weißem Boden und weißen Stuhlkissen – da war mir klar – alles Fake. Zeig mir die Familie mit nem Kindergartenkind, die WEISSE Sitzpolster am Eßtisch hat.
Ich wette da stand für den Fototermin ein Container vor der Tür, in dem aller Besitz der Familie war….
Ich mag normal lieber….
Fühl dich gedrückt! Und danke!
Genau so isses!
Ich wundere mich immer über die perfekten Wohnungen und frag mich, was wir “falsch” machen…
Die cremefarbenen Sessel (lange vor den Kindern gekauft) sind marmoriert und unser Geschirr ist eher die Linie “bunt zusammengewürfelt” als “Design”.
So geht’s in allen Zimmern weiter.
Und dann seh ich oft diese gestylten Fotos und mir fällt der Besuch bei einer Bekannten ein: sie hat den teuren Ledersessel für meine Tochter (4 Jahre) tatsächlich mit einem Leintuch überzogen, damit sie mit Saft und Keksen bloß keinen Fleck macht.
Gemütlich ist anders…
Liebe Bergziege, herzlich willkommen! Bei uns ist alles so pragmatisch wie nötig und so schön wie möglich. Aber auf jeden Fall alles echt. 🙂
Solche Blogs interessieren mich wenig, da ich die wie Wendy für gefaked halte. Ist nicht so, dass ich mir sowas nicht gerne mal ansehe, aber von sowas lasse ich mich nicht unter Druck setzen.
Mir geht’s eher so, dass es mich mitunter unter Druck setzt, was andere alles machen und schaffen.
Zum Beispiel, dass ich es nicht mal auf die Reihe bekommen habe, alle Bauklötze vom Boden wegzuräumen, während du leckere Snacks für ein Picknick gezaubert und irgendwas total Cooles gebastelt hast. Sowas (nicht nur in deinem Blog) weckt bei mir dann das Gefühl, dass ich auch mal ein neues Beet anlegen sollte, das Wohnzimmer umgestalten und für den Sohnemann ein Outfit nähen.
Aber hauptsächlich finde ich es dann auch inspirierend. ?
Uaah, das Blog soll keinen unter Druck setzen. Vergiss nicht, dass Hannah vormittags im Kindergarten ist und ich ein paar Stunden Luft habe.
Sonst wäre vieles nicht machbar. Und immerhin weißt du dann ja, dass sie Rezepte easypeasy und gelingsicher sind, bzw. kannst auf meine Bastelvorlagen zurückgreifen. Muss ja nicht jeder das Rad täglich neu erfinden! ?