Erst hatte ich keine Ahnung, wie man Mitglied in einem derart elitären Zirkel wird. Dann stellte ich fest, dass es ernüchternd leicht ist – man schreibt eine Hebamme per mail an, bekommt einen Termin genannt und ist, ehe man sich’s versieht, angemeldet im Geburtsvorbereitungskurs.
Ich hatte Alpträume. Von Frauen, die im Kreis sitzen und hecheln, von esoterischem Geblubber über die Dreieinigkeit von Gebärmutter, Beckenboden und Mutterbändern und von Hebammen, die so flammende Reden pro Dammmassage halten, dass mir lieber wäre, ich hätte keinen.
Unerschrocken wie ich bin, ging ich trotzdem zum ersten Abend.
Letzten Dienstag. Am Eingang stehen Frauen zwischen Tür und Angel und schwatzen geschäftig. Mir ist zuerst völlig schleierhaft, wieso sich die Damenriege über Koliken unterhält und befürchte schon, dass die zwei Toiletten den ganzen Abend belegt sein werden, da fällt mir auf, dass die ganze Gruppe zwar Ahnung von durchwachten Nächten, aber keine runden Bäuche mehr hat – es ist der Rückbildungskurs, der sich zögerlich im Aufbruch befindet und dieser versperrt in mütterlich-engagierte Gespräche vertieft jeglichen Platz im Flur. Mein Blick verrät wohl mehr als Worte, denn das Meer teilt sich und ich darf eintreten. Am anderen Ende sehe ich ein schockiertes Gesicht und fühle mich augenblicklich verstanden. Da stehen noch mehr Schwangere und warten entsetzt auf das, was kommt.
Und was da kommt in Form einer jungen Hebamme mit beruhigend ruhiger Stimme, ist dann doch nicht SO gruselig. Naja. Manchmal. Zum Beispiel als sie uns nahelegt, es uns doch so bequem wie möglich zu machen. Bei der Vorstellungsrunde oute ich mich als Erste, erkläre, dass ich mich auf das erste Kind freue, dass wir dies gegen Ende Oktober erwarten und dass ich mir von dem Kurs Informationen erhoffe. Die Jogamatte quietscht unter meinem Hintern. Die anderen outen sich ebenfalls und schnell wird klar – ich bin die Einzige, die noch keinen einzigen Baby- und Geburtsratgeber gelesen hat. Und ich bin nicht hier, wie meine Nebensitzerin, in der Hoffnung, “Gleichgesinnte zu treffen”. Ich schaue in die Runde und zähle zehn dicke Bäuche und muss mich schwer zurückhalten, ihr zu erklären, dass die Chancen bei einem GEBURTSVORBEREITUNGSKURS dafür recht hoch sind, weil ZUFÄLLIG ALLE SCHWANGER SIND. Und während ich Berichten von Nierenbeckenentzündungen und stationären Klinikaufenthalten lausche, kann ich trotz der drölf Kissen keine Position finden, die ich als bequem bezeichnen könnte, aber man will ja guten Willen zeigen. Nur mein Ischias will das nicht. Auch nicht im Liegen. Als ich beim dritten “und wir heben langsam beim Einatmen unseren rechten Arm” angekommen bin, hat der Nerv keinen Nerv mehr und zwingt mich, mich umzudrehen. Schlechte Idee. Denn statt der Wand starre ich jetzt auf meine Leidensgenossin in violetter Ballonseide, die sich im Tiefschlaf zu befinden scheint. Und während ich mich noch frage, wie zur Hölle sie auf dem Stückchen Schaumgummi so entspannt liegen kann, wird mir klar, dass ich meinen rechten Arm nicht mehr bewegen kann, weil ich jetzt drauf liege. Fortan bewegt sich also nur noch mein rechter Unterarm und ich sehe mich vor meinem geistigen Auge wie eine Ertrinkende auf einer Planke hängen, die müde mit dem Hand ihren Rettern zuwinkt.
Schlimm, wirklich schlimm ist aber nicht die entwürdigende Lage und auch nicht das seichte Gewinke – schlimm sind die nervtötenden Panflöten, die meine volle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Auf dem Weihnachtsmarkt kann man den Peruanern und dem ziehenden Kondor ja noch entgehen, aber da meine Arme mit Winken beschäftigt sind, bleibt mir leider keine Hand mehr frei, um mir die Ohren zuzuhalten. Die Peruaner panflöten sich also in meine letzte Gehirnwindung, als die Hebamme endlich vom Gewinke ablässt und sagt – “Nehmt jetzt Kontakt zu Eurem Kind auf.”
Meine innere Stimme sagte “Kind. Hallo. Ich bin’s.”
“Möchtet Ihr Eurem Kind etwas sagen?” *Ohja… Du wirst allerallerhöchstens eine Blockflöte bekommen aber denk nicht mal dran, irgendwann eine Panflöte anzufassen* “Habt ihr eine Frage an Euer Kind?” *Hm… Kind… wärst Du auch lieber auf der Couch zuhause?* “Antwortet Euer Kind?” *Jup! Hat sehr laut ja gesagt*
Immerhin habe ich ein Lob bekommen. “Frau Venus, Du warst ja sehr entspannt. Ich habe bei der Atemübung sogar ein Lächeln über Dein Gesicht huschen sehen, sehr gut!”
Äh… schön! Aber wenigstens war ich nicht die Einzige, die unbequem gelegen hat. Schräg mir gegenüber richtet sich nämlich Frau Stadion (die ich so nenne, weil sie eine Stimme hat wie ein Stadionlautsprecher, dem der Lautsprecher ausgefallen ist) ächzend auf und jammert über ihr Kreuz. Seit dem ersten Tag habe sie “Kreuzschmerzen wie ein Kutscher” und sie müsse sich unbedingt akkupunktieren lassen. Katja, die Russin neben ihr, lächelt angesichts solcher Beschwerden müde, denn während ihr Rücken absolut ok sei, kotze sie jeden Tag. Seit Beginn der Schwangerschaft. Bis letzten Dienstag, in die 25. Woche. Wenn sie also rausrenne… wir wüssten dann Bescheid.
Ich zupple alarmiert sicherheitshalber die Henkel meiner Handtasche aus ihrem Fluchtweg, weil sich mir unaufhaltsam Bilder einer sich in den Flur übergebenden Katja mit meiner Handtasche am Bein aufdrängen.
Mit einer letzten lebenswichtigen Information über die Wirkung von Brennesselblättertee ausgestattet, entlässt unsere Hebamme uns.
Ich und die anderen Gebärmütter kramen im Flur unsere Schuhe zusammen und die anderen stehen verlegen im Kreis herum. Ich frage mich, was jetzt noch passiert. Ob es noch etwas auszufüllen gibt? Ob man noch ein Lied singt? Oder gemeinsam eine Tasse Himbeerblütentee schlürft? Nein, viel schlimmer! Man tauscht Nummern aus! Man knüpft zarte freundschaftliche Bande! Ich stelle mir Frau Stadion mit Mini-Stadion im Kinderwagen im Stechschritt neben mir vor, erkenne den Ernst der Lage und bleibe beim Davonhechten fast in meiner eigenen Handtasche hängen. Ich will hier raus!
Das Dumme ist nur – der Diplom-Gebärmutterkurs geht weiter. Und ihr wisst was heute für ein Tag ist.