DAFANKI???

Beim Einkaufen gibt es zwei unumstößliche Grundregeln, die so sicher sind, wie die Erdanziehung.
Erstens: Meine Schlange ist die Langsamste, völlig wurscht, wie lang sie ist. Zweitens: Irgendwas ist immer. Wahlweise hat einer vergessen, seine Gurke zu wiegen, die alte Dame mit dem kecken Hütchen und den festzementierten Dauerwellen, stellt zehn PFENNING vor Erreichen der geforderten Summe fest, dass das Kleingeldfach doch schon leer ist und frickelt mit zittrigen Händen die vielen winzigen Münzen wieder ins Portemonnaie zurück, das Kassenfräulein muss “Frau Westermeier, Storno bitte Kasse drei, Frau Westermeier bitte” in ihr schwarzes Mikrophon nuscheln oder die Kassenbonpapierrolle endet mit einem rosa Streifen und leisem Rattern just vor mir und will ausgetauscht werden. Wer also Zeit totschlagen muss, gerne Sozialstudien betreibt oder sich schon immer einmal in völliger Ruhe durch das Süßwarenangebot an der Kasse stöbern wollte, dem sei geraten, sich hinter mich zu stellen. Ich bin quasi der Garant für tiefenentspanntes Anstehen. Aber zurück zum Thema. Sozialstudien. Was tut man nicht alles, während man wartet. Ich studiere. Mit Vorliebe das, was andere Menschen vor und hinter mir aufs Band gelegt haben. Denn so ein Einkauf sagt mehr über einen Menschen aus, als sein Lebenslauf es je vermöge. Sag mir, was Du kaufst, und ich sag Dir, wer Du bist. Die alte Dame beispielsweise erledigte einen Lebensmitteleinkauf für einen Tag. Eine eingeschweißte Packung Wurst, zwei Brötchen, einen Becher Erdbeerjoghurt und eine Dose Katzenfutter. Ich hoffte inständig, dass sie sich ihren Lebensabend tatsächlich mit einer Samtpfote teilte und sich nicht aufgrund mangelnden Sehvermögens im Regal geirrt hatte und eine Dose leckeren Saftgulasches in ihrem Einkaufsnetz wähnte.
Die junge Frau hinter ihr, die eine schier unglaubliche Anzahl Becher derselben Puddingsorte erstand, fand ihre EC-Karte nicht und ließ sich vorrechnen, wieviel Becher man für zehn Euro Bargeld wohl bekomme während sie versicherte, dass sie den Rest später abholen komme. Es ist mir ein absolutes Rätsel, was man mit derart viel Schokoladenpudding mit Sahne anfangen kann, noch dazu, weil fette rote Aufkleber von dessem nahenden Ableben durch Erreichen der Mindesthaltbarkeitsgrenze kündeten. Noch bevor schlimme Bilder vor mein inneres Auge zogen, die viel braune Puddingmasse und viel nackte Haut beinhalteten, fokussierte ich mein Interesse auf den Mann vor mir, der vier Meisenknödel und eine Flasche Wodka zu kaufen beabsichtigte. Ein Ornithologe mit Hang zum Alkohol? Während ich noch sinnierte, ob man Meisenknödel mit Wodka flambieren könnte, fiel mir auf, dass das Kassenfräulein mit jedem Bezahlvorgang in ein Töpfchen griff und kleine, in glitzerndes Raschelpapier eingepackte Geschenke in gierig aufgehaltene Hände verteilte. Wie nett! Sicher handelte es sich um Schokolade oder Minzbonbons. Je näher ich ihr kam, desto offensichtlicher wurde – wer viel kaufte, bekam viel Raschelschokolade, wer wenig kaufte nur ein oder zwei Tütchen. Ich schaute nachdenklich auf meinen Lego-Power-Ninja-Quigong-Wakawaka-Superflieger, den das Patenkind meines Mannes zum Geburtstag bekommen würde. Wieviel Lutschdrops dafür wohl rausspringen würden? Ich verrat’s lieber gleich – nada. Null. Niente.
Als ich nämlich endlich bezahlen durfte, verstand ich, warum meine Schlange so exorbitant langsam vorankam. Die Kassiererin sprach einen derartig kantigen Akzent, dass sie alles zweimal sagen musste. Den Preis zu erraten schaffte ich noch problemlos, da die Kasse über eine freundlich grüne Digitalanzeige verfügte. Auch, dass sie mich nach Münzgeld gefragt hatte, war mir nach kurzem Stutzen klar geworden (“Chabe Sie Fienferle?) Aber ab dann drehte sie den Schwierigkeitsgrad auf “Hinter-Aserbaidschanisch” und ich kam mir vor, wie ein deutschsprachiger Erstklässler im Ural.
Nach zweimaligem Nachfragen konnte ich endlich die Frage nach meinem Sammelbedürfnis von Treuepunkten verneinen.
“Nuhzesiechundecharte?”
Bitte?
“Chundecharte?”
Hunde? Äh..
“CHUN-DE-CHAR-TE”
AH! Kundenkarte! Nein, danke, keine Kundenkarte.
“Chassesettl?”
Bitte?

Sie schaute mich an, als sei die erste Strafarbeit nur noch ein “bitte?” entfernt. Ich begann zu schwitzen. Sie riss den Kassenbon ab und hielt ihn mir ungeduldig unter die Nase.

KASSENZETTEL!
rief ich begeistert wie seinerseits Archimedes in der Wanne. NEIN, danke, den brauch ich auch nicht. Und als ich mich grade zum Gehen wenden wollte, raschelte sie in der verlockenden Minzdrops-Box. Und stellte die alles entscheidende Frage.

“Dafanki?”
Da… was?
“DAFANKI? Sammelesiedafanki?”
Danke, gleichfalls…stammelte ich. Sie rollte mit den Augen.

“JA ODER NEIN?”
Ja oder nein was… ich fürchte… äh… BITTE?
“OB. SIE. DA. FANKI. SAMMELE”

Ich hatte Angst. Wenn ich sie jetzt fragen würde, ob ich meinen Telefonjoker anrufen dürfe, würde sie sicher über ihr schwarzes Mikrophon Lollek und Bollek ausrufen lassen, die beiden ukrainischen Rauswerfer, die mich im Büro des Marktleiters an die Heizung ketten und mir so lange peinliche Fragen zu meinem Einkaufsverhalten stellen würden, bis ich weinend einen 24-Monats-Vertrag für eine Kundenkarte nebst Treuepunkten und Chassesettl unterschreiben würde. Ich schaute in die Gesichter der Menschen hinter mir, die mich alle erwartungsvoll ansahen. Mein Leben raste in kleinen Filmstreifen vor meinem inneren Auge vorbei. Und ich presste schließlich im Angesicht des sicheren Todes ein leises “Nö..?” hervor.

Und wa

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