Mama arbeitet Teilzeit. Klingt ein bisschen staubig. Deswegen sagen wir Frauen von heute, nachdem wir am Latte Macchiato genippt und bevor wir am Granatapfel-Macaron geknuspert haben ganz lässig “ich bin eine working mum”. Das hört sich verdammt nach Powerfrau an. Symbiose aus Mutter des Jahres und Karriere mit links.
Und wenn ich mir überlege, wie der Vormittag einer Working mum so aussieht, entsteht folgendes Bild vor meinem inneren Auge:
Es ist acht Uhr. Ich und mein gut gelauntes, munteres Vorzeigekind sitzen in der Küche. Selbige ist natürlich von mir am Vorabend nach 23 Uhr auf Hochglanz gebracht worden. Wir unterhalten uns über Jahreszeiten, über den Kindergarten oder über philosophische Fragen, die mein Kind gelegentlich in den Raum stellt. (“Warum hat der Trockner kein Fenster, die Waschmaschine aber schon?”)Wir löffeln unser vollwertiges und irrsinnig schön angerichtetes Müsli aus selbstgemachtem Joghurt (Thermomix, mach ich selber, geht ganz fix), frischen Früchten (hab ich heute morgen im Garten gepflückt, nachdem ich eine halbe Stunde den Sonnengruß neben den wilden Himbeeren praktiziert habe, entspannt so schön morgens um sechs) und selbstgebackenem Crunchygranola (das back ich immer selbst, man weiß dann wenigstens, was drin ist und meine Familie isst das so gern). Bevor ich den Löffel in das Kunstwerk stecke, halte ich den Anblick natürlich noch für meine Instagram-Crowd fest (#breakfastgoals #foodporn).
In die Kindergarten-Bentobox schnibble ich den Rest des frischgeernteten Obstes, während sich mein Kind selbstständig und freiwillg in genau die Klamotten hüllt, die wir gemeinsam am Abend vorher zu einem hübschen Kleidermännchen drapiert haben. Die Zähne sind natürlich schon geputzt, die Haare zu frechen Zöpfen gebunden und überhaupt – eigentlich muss ich nur noch meinen neuen Herbstmantel überwerfen, die Cabrioschlüssel vom Brett pflücken und los geht es. Für das Kind in einen erfüllten Kindergartentag, für mich in einen erfüllten Arbeitstag.
Und während ich so über hättekönntewäre nachgrüble, holt mich die Realität ein. Mit dem Blick auf die obere rechte Ecke des Handydisplays. Es ist zehn Minuten nach halb neun. Seit einer halben Stunde kauere ich mit angezogenen Beinen und im Schlafanzug auf dem Küchenstuhl. Bei einer Tasse Kaffee habe ich das Internet leergelesen, nachdem ich das nervende Pfeifen der Spülmaschine erfolgreich abgestellt hatte. Wieso ist es jetzt schon so spät? Ich lege das Handy weg und rufe zum dreizehnten Mal mein Kind. Aus dem Kinderzimmer dringt unwilliges Brummen, dem dumpfen Ton nach aus den Tiefen von zwei Schichten Decke und Kopfkissen. Es klang sehr wenig nach “ja Mama, ich komme gleich” und sehr viel nach “Quälerei! Kindergewerkschaft! Mittenindernacht!”.
Ich beschließe also, das vor sich hinweichende Müsli für das unwillige Kind allein zu lassen (Schokomüsli aus der Packung, ja gut, aber MÜSLI) und informiere den Deckenhaufen im Vorbeigehen, dass ich jetzt ins Bad und das unter Kuscheltieren begrabene Kind dann eben alleine frühstücken müsse. Im Bad stoße ich auf einen Wäschehaufen, den ich seufzend in Richtung Waschkorb trage. Die rote Null auf der Waschmaschine möchte mir sagen, dass die nasse Wäsche gerne in den Trockner wechseln würde. Warum haben Waschmaschinen eigentlich Fenster und Displays? Ich lege die Schmutzwäsche zu ihresgleichen und beschließe, dass die nasse Wäsche ein bisschen warten kann, meine Dusche indes nicht.
Kaum stehe ich unter dem warmen Wasserstrahl, vernehme ich ein dumpfes Poltern aus der Küche. Der kleine Mensch scheint aufgestanden zu sein. Kurz versuche ich, mir keine Gedanken über die Ursache des scheppernden Geräuschs zu machen. Ein Marder auf dem Dachboden. Ein Erdbeben. Irgendwas belangloses. Jegliche Hoffnung auf ein gutes Ende wird durch ein langgezogenes “Maaamaaaa” jedoch im Keim erstickt. “Mein Müsli ist runtergefallen” ruft das Kind.
Ich spüle mir vor Begeisterung Shampoo ins rechte Auge und stolpere halbnass und heftig blinzelnd in die Küche, wo meine Tochter mit einem schiefen Grinsen und achselzuckend barfuß in einem Milchsee steht und gerade versucht, ein Stück Müslibrocken mit dem großen Zeh zu einem Fladen zu drücken. Unfreiwillig (weil impulsiv) ergeht eine gemäßigte Schimpfworttirade in der Küche nieder (man darf als Mutter ja nur Scheibenkleister sagen. Außer im Auto. Im Auto gelten andere Gesetze.) und ich hole einen Lappen, während ich das Kind nur mühsam davon abhalten kann, mit den nassen Milchfüßen über den Flurteppich zu laufen. Ich wische also Küchenboden auf und Kinderfüße ab und äußere zum wiederholten Mal die Bitte, sich anzuziehen. Meine Tochter verschränkt bockig die Arme und skandiert “ich. habe. aber. Hunger.” während ich anfange zu frieren. Kurz denke ich darüber nach, einfach wieder ins Bett zu gehen. Mit einem tiefen, bedauernden Seufzer begrabe ich den Gedanken. Dann bugsiere ich die Kleine in ihr Zimmer und werfe Socken und Unterwäsche aufs Bett. “Ich will nicht diese Unterhose” ist das letzte, was ich höre, bevor mein inneres Tsunamiwarnsystem die Melodie von Jeopardy abspielt. Das Wutgeheul ignorierend sorge ich für etwas räumlichen Abstand und ziehe ich mich an. Die Haare stehen mir sprichwörtlich zu Berge, da sie mittlerweile angetrocknet sind. Möglicherweise habe ich aber auch ein bisschen Müslimilch hineingeknetet. Die Uhr zeigt übrigens mittlerweile viertel nach neun. Kuriosität am Rande: Wenn ich mein Kind zur Eile mahne, passiert folgendes: Anweisungen wie “Zieh Dir bitte Deine Schuhe an”, die in Echtzeit in maximal zwei Minuten zu erledigen sind, nehmen allein durch den Hinweis, dass es eile, neue Dimensionen an. Klettverschlüsse machen Schuhe zu unüberwindbaren Hindernissen. Verrutschte Socken gar machen ein mehrmaliges An- und Ausziehen von Fußbekleidung unabdingbar.
Als wir im Kindergarten aufschlagen (“wo sind meine Schüssel? Wo ist Dene Jacke? Warum hast Du nur eine Socke an?”) , ist es kurz vor zehn. Die Erzieherin lächelt wissend. Sie weist mich freundlich darauf hin, dass ich meine Bluse falsch geknöpft habe. Dass wir den Kindergartenrucksack mit dem hastig in Stücke gehackten Apfel im Treppenhaus vergessen haben, tut nichts zur Sache – die übrigen Kinder haben alle schon gegessen.
Ich verabschiede mich schweißgebadet von meinem Kind, das sich bester Laune an den Maltisch setzt. Das letzte, was ihre höre, sind die Worte “… und dann hab ich nicht mal ein Müsli gegessen.”
Kinder. Quell der Freude.
Liebe Tochter, solltest Du all das in ein paar Jahren lesen, sei versichert – ich liebe Dich. Von ganzem Herzen. Nicht trotz allem, sondern wegen allem. Weil Du mein Leben zu dem machst, was es ist – manchmal chaotisch und voller Trubel. Aber immer lebenswert und reich. Du lehrst mich Geduld und Langmut, Vertrauen und Dankbarkeit. Und nicht zuletzt, dass Milch in Haaren nach ein paar Stunden einen säuerlichen Geruch verströmt. Aber das ist am Ende unwichtig.
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