Ich bin dann mal off.

Sonntag.

Ich stand dichtgedrängt zwischen zwei älteren Damen, versuchte aus dem Regengeprassel auf meinem Schirm hindurch die Stimme der Stadtführerin herauszufiltern und war gleichzeitig darauf bedacht, meine Kamera dicht an mich zu pressen, um sie vor den kleinen Sturzbächen zu schützen, die von den Schirmen um mich herum rannen. Das Display meines Handys leuchtete auf und ich war kurz abgelenkt von den Ausführungen der Expertin für Lokalgeschichte. „Hier geht die Welt unter“, las ich in der SMS von meinem Mann. Ach was, dachte ich mir und fragte mich gerade, warum er mir SMS schickte, wo wir doch meistens über einen internet-basierten Nachrichtendienst kommunizierten, da las ich weiter: „… das Internet ist auch grad tot.“

Ich schaute auf die Uhr, von deren Ziffernblatt Wassertropfen rannen. Halb fünf. Die Lokalredaktionen, für die ich mir die feuchte Stadtführung ansah, würden nicht mehr ewig Geduld haben. Ich deutete der Stadtführerin an, dass ich mich vom Acker machen würde, so hatten wir es zu Beginn vereinbart. Ihre Stimme hallte mir noch in den Ohren „…so war das halt früher“, hatte sie gesagt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, dass ich demnächst weiter ins „früher“ katapultiert werden würde als mir lieb war.
Den Schirm und meine Habseligkeiten an mich gedrückt machte ich mich auf dem Weg zum Auto. Das Wasser schmatzte in meinen Schuhen, an den Armen hatte ich Gänsehaut. Im Auto bugsierte ich meine Tasche auf den Beifahrersitz, wischte mir eine regennasse Strähne hinters Ohr und wählte die Nummer des Wochenenddiensts in der Redaktion. Wir vereinbarten, dass ich den Text so schnell wie möglich schickte, wenn nicht per Internet, dann würde ich einen Stick vorbei bringen. Aber das Internet, so hoffte ich, würde sicher bald wieder aus seinem Dornröschenschlaf erwachen.
Zuhause angekommen machte ich mich an die Arbeit, beschnitt Bilder, formulierte Zeile um Zeile. Immer wieder hatte ich einen Blick in meine Menüleiste geworfen. Zwischen den beiden Bildschirmen rechts unten auf der Leiste wollte und wollte sich keine Erdkugel zeigen, die mir den Zugang ins Netz signalisiert hätte. Mehrfach hatten wir den Router aus- und unter gutem Zureden wieder eingeschaltet. Das Internet zeigte sich von unseren Bemühungen allerdings weiterhin unbeeindruckt. Über einen Internetstick für Notfälle schließlich rief ich Mails ab und verschickte meinen Text. „Rückfragen bitte per Telefon. Wir haben hier das Internet gelöscht“, schrieb ich flapsig mit einem Smiley dazu.
Am Abend dann kam der kalte Entzug. Wie ein frischer Nichtraucher, der sich immer wieder an die Brusttasche fasst um nach der Zigarettenschachtel zu tasten, langte ich nach meinem Handy. Mein Daumen schwebte über der Facebook-App, zuckte in Richtung Instagram. Aber ich wusste ja, außer einem sich drehenden Ladesymbol würde ich dort nichts sehen.
Wie sehr ich mich im Alltag auf dieses kleine Gerät verließ, fiel mir den ganzen Abend auf. Gerne hätte ich gewusst, was im Fernsehen läuft. Mühsam suchte ich mich in Ermangelung einer gedruckten Fernsehzeitung durch den Teletext, denn meine Programm-App lud keine Daten. Gerne hätte ich die Wegstrecke, die mich am Montagmorgen erwarten würde, auf meiner Karten-App angeguckt, aber die Daten blieben da draußen im Netz, das mir so hartnäckig den Dienst verweigerte. Hin und wieder schaltete ich seufzend den Router aus und wieder ein, das stoische Blinken der DSL-Leuchte und das gänzlich erloschene Online-Lämpchen frustrierten mich jedes Mal wieder. Ich fand mich also irgendwann auf dem Esszimmerboden über einen Straßenatlas gebeugt und fuhr mit dem Finger die Bundesstraßen entlang. „So war das früher“, meldete sich die Stadtführerin in meinem Kopf wieder zu Wort.

Um neun schließlich hatte ich das dringende Bedürfnis, der Lösung des Problems etwas auf die Sprünge zu helfen. Das blöde Internet schien ein hartnäckiger Schmoller zu sein. Ich schaltete das WLAN auf dem Handy ab und öffnete den Browser. Mein Datenvolumen war begrenzt und ich betrachtete es daher als einen wertvollen Schatz, mit dem es zu haushalten galt. Ich suchte die Nummer der Störungsstelle und begab mich seufzend wieder in mein Off. Eine Bandstimme begrüßte mich mit einem freundlichen „Guten Abend“ und fragte mich allerhand Dinge, nur um mich dann mit dem Hinweis, es könne bis zu zwanzig Minuten dauern, bis man einen echten Menschen gefunden hätte, der sich mit mir über mein Problem unterhalten wollte, in eine dudelnde Warteschleife zu schicken. Meine Tochter unterdessen betrachtete mich sorgenvoll. Mama hielt sich ein Telefon ans Ohr ohne zu sprechen. „Isse de Opa?“ wollte sie wissen. „Nein, es ist nicht der Opa, ich muss erstmal warten“, erklärte ich. „Isse de Tante Hidegat?“ fragte sie. „Nein, es ist auch nicht die Tante Hildegard, da ist keiner dran“, sagte ich. Sie guckte ungläubig. „Mama, aussalte!“ Ich musste ob ihrer Logik lächeln. Aber auflegen kam nicht in Frage, jetzt, wo ich dem Internet doch so nahe war. Während wir da saßen und puzzelten, die Memory-Karten aus- und wieder einräumten, ein paar Äpfel auf den Zeichenblock malten, die Legokiste ausschütteten und die Puppe zum zweiten Mal wieder anzogen, hätte ich den Hörer zwischen Schulter und Kinn fast vergessen. Ich zuckte zusammen, als es plötzlich tutete und sich ein der Stimme nach junger Mann mit vielen Namen und Floskeln zu Wort meldete. Ich war so verdutzt, dass ich mit der Tür ein wenig ins Haus fiel. „Wir haben kein Internet“, sagte ich und klang dabei fast verzweifelt. Das sei natürlich ärgerlich, zeigte sich der Kundenberater verständnisvoll. Jedoch wolle er zunächst meinen Anschluss verifizieren und bat um die Kundennummer. Ich fixierte entsetzt die Äpfel auf dem Block vor mir. „Die hab ich jetzt grad nicht da“, stammelte ich, da der Anschluss, so vermutete ich, über meine Schwiegereltern lief. Er gab mir verschiedene Tipps, wo ich die Nummer finden könnte, musste aber irgendwann einsehen, dass ich nicht an diese vermaledeite Nummer kommen würde. „Dann geben Sie mir bitte die korrekte Nummer mit der Anschrift an“, seufzte er. Ich nannte meinen Namen und meine Anschrift. „Das tut mir leid, das ist nicht korrekt“, sagte er und ich hörte in seiner Stimme deutliches Misstrauen heraus. „Dann ist es vielleicht mein Mann? Oder mein Schwiegervater?“, bot ich Alternativen an. Am anderen Ende der Leitung hörte ich ein Räuspern. „Wissen Sie, das ist kein Quiz hier. Sie haben keine Kundennummer und keinen korrekten Namen. Da könnte ja jeder kommen und sich durchraten. Ich muss auf die Kundennummer bestehen. Sonst kann ich nichts für Sie tun.“ Gerade wollte ich Luft holen, da tutete es in der Leitung. Ich starrte ungläubig auf den Hörer in meiner Hand und konnte mir ein „was für ein Trottel!“ nicht verkneifen. „Isse de Tottel weg?“ fragte meine Tochter. Ich schnaubte und guckte auf die Uhr. Eine Nacht ohne Netz erschien mir mit einem Mal kein schlimmes Schicksal mehr zu sein. Erholsamen Nachtschlaf gab es ja immerhin kostenlos und offline.

Am Montagmorgen.

Ich rückte den Block gerade, platzierte einen Stift darauf, warf noch einen Blick auf die alte Telefonrechnung. Dann griff ich zum Hörer und wählte die Nummer der Hotline. Diesmal würde ich dem Motzkoffer am anderen Ende der Leitung keine Antwort schuldig bleiben.
Die Bandstimme begrüßte mich mit einem fröhlichen „Guten Morgen“. Ich sprach überdeutliche Antworten in den Hörer, sagte Dinge wie „STÖ-RUNG“ und „KUN-DEN-BE-RA-TER“ und freute mich, dass der nächste freie Kundenberater schon in fünfzehn Minuten für mich da sein würde. Nach fünf Minuten Dauerbeschallung hatte ich meinen Block vollgekritzelt. Äpfel, Kaffeetassen, eine Katze, eine Maus und ganz groß das Wort INTERNE, denn bevor ich das T malen konnte, knarzte es in der Leitung. „Guten Morgen, mein Name ist…“ sagte eine männliche Stimme, die sich eindeutig von der vom Vorabend unterschied. Ich ließ den Helden des Internets sein Sprüchlein aufsagen und teilte dann mit: „Wir haben kein Internet mehr!“
Auch er war mitfühlend und kündigte an, die Leitung mal eben durchmessen zu wollen. Von meiner Kundennummer wollte er nichts wissen.
Um die Messung nicht zu beeinträchtigen, rief er mich postwendend auf meinem Handy an. Die Messungen hätten ergeben, dass entweder der Splitter oder der Router das Problem seien. Vermutlich durch Blitzschlag in der näheren Umgebung habe es eine Überspannung gegeben, und die wiederum… ich unterbrach ihn sanft: „Aha, und was machen wir jetzt?“
„Entweder wir schicken Ihnen kostenlos einen neuen Router zu, der ist dann morgen bei Ihnen. Oder Sie holen heute Mittag in unserer nächsten Filiale ein Tauschgerät ab“, bot er an. Mein Herz klopfte schneller. Natürlich würde ich den Router persönlich abholen. Ich bedankte mich überschwänglich und freute mich über den tollen Service.

Nur leider nicht lange. Als ich am selben Nachmittag dem freundlichen Herrn in der besagten Filiale erklärte, ich wolle gerne meinen Tauschrouter abholen, guckte der mich ratlos an. „Kostenlos?“ fragte er und klang irgendwie belustigt. „Also der Herr an der Hotline hat gesagt…“ begann ich und er lachte auf. „HOTLINE. Jaja. Nehmen Sie doch mal Platz.“
Ich sank ernüchtert auf die weißen Polster und erfuhr, dass es ein Gerät wie unseres schon LANGE nicht mehr gebe. „So war das mal früher“, sagte er und ich fühlte mich augenblicklich mittelalterlich. Aus unserem Gespräch kristallisierte sich nach ungefähr zehn Minuten heraus, dass wir entweder den kompletten Anschluss auf eine modernere Technik umrüsten müssten, was gut und gerne vier Wochen dauern könne, oder einen anderen Router mieten könnten. Den würde er uns bestellen, der sei dann in zwei Tagen da. Da das Internet gefühlt mittlerweile ein Luxusgut in unerreichbarer Ferne war, hörten sich zwei Tage geradezu verlockend schnell an. Ich stimmte also zu.
Als ich schon fast an der Tür war, rief er mich noch einmal zu sich. Er würde mir doch sicherheitshalber einen neuen Splitter mitgeben. Womöglich läge es an dem. Und wenn das Problem trotz Splittertausch weiter bestehe, würde ein Anruf genügen und er würde den besagten Router bestellen. Und das natürlich kostenlos, sagte er stolz. Ich steckte den Splitter in die Tasche und machte mich auf den Heimweg.
Der Splittertausch brachte natürlich ganz genau gar keine Verbesserung. Ich rief also in der Filiale an und gab die Bestellung in Auftrag. Gegen später hatte ich meine Mutter am Telefon. Wir plauderten eine Weile und sie erzählte mir das Neueste aus der Tageszeitung vom Morgen. Ich hing an ihren Lippen, als erzähle sie von einer interstellaren Reise.

Und plötzlich fiel mir auf – ich hatte keine Ahnung, wo ich mein Handy hingelegt hatte. Ich hatte mich innerhalb von wenigen Stunden damit abgefunden, dass das Ding tatsächlich nur noch zum Telefonieren gewillt war.

Dienstag.

Beim morgendlichen Kaffeetrinken grübelte ich über meine Termine fürs kommende Wochenende nach. Ich wartete dringend auf Nachricht einer Kollegin. Ob die wohl mittlerweile eine E-Mail geschickt hatte? So sehr ich das Leben auf dem Land auch mag, sobald ich dem Handy das WLAN verweigerte, reagierte es trotzig mit dem langsamsten Internet aller Zeiten. Während sich über mein wertvolles Datenvolumenkonto also 20 Mails vom Server durch die Leitung auf meinen Frühstückstisch quälten, trank ich Kaffee, versorgte das Kind mit einer Butterbrezel, räumte eine Ladung Geschirr aus der Maschine, wischte die Spüle sauber und packte den Korb für die Krabbelgruppe.
Die Kollegin hatte sich tatsächlich gemeldet. Zwischen neunzehn Nonsens-Mails, Newslettern und Werbeangeboten war auch eine echte Nachricht. Allerdings schrieb sie, dass sie keine weiteren Infos habe, mir aber maile, sobald sie mehr wisse.
Ich klappte das Handy zu und vergaß es zu Hause.

Wir waren gerade von der Krabbelgruppe nach Hause gekommen und hatten die Tür aufgemacht, als das Telefon läutete. Wenigstens das funktionierte tadellos. Man wird mit der Zeit bescheiden.
Die Filiale, die den Router hatte bestellen wollen, rief an. Das Gerät, das bestellt wurde, sei „vertriebseingestellt“, erfuhr ich. Eine höfliche Art zu sagen, das Ding sei so alt, dass es nicht mehr hergestellt wird. Ich könne jetzt entweder doch die zeitintensive Umstellung des kompletten Anschlusses in Kauf nehmen oder, und das würde sie mir raten, weil es ja schnell gehen soll, zu einem Mitbewerber wechseln und eine Fritzbox kaufen.
Und so kam das Internet am Abend des dritten Tages in Form eines rechteckigen, knallroten Wunderkästchens wieder nach Hause. Ein paar Stecker, ein paar Einstellungen, ein paar Häkchen an der richtigen Stelle und die Lämpchen nahmen alle bereitwillig ihren Dienst auf. Ich scrollte mich gierig wie eine Kurz-vor-dem-Ertrinkende durch 162 Instagram-Bilder und durch meine facebook-Timeline.
Ganz ehrlich – Lebenswichtiges scheine ich nicht verpasst zu haben. Aber es ist doch schön, wieder Teil dieser Welt zu sein. Und sollte mir demnächst einmal wieder nach einem Leben im Off zumute sein, weiß ich, wo die Stecker dafür sind.

11 Antworten auf „Ich bin dann mal off.“

  1. Ich kann Dir das nachfühlen!
    Wir hatten letztens auch 3 Tage kein Internet und Festnetztelefon. Die Störungsmeldung war schon sehr lustig, weil ich im Krankenhaus lag und somit nicht mal eben nachschauen konnte, ob diese oder jene Lampe gerade irgendwelche Signale von sich gibt.
    Aber lustigerweise konnte ich denen erklären, was sie machen sollen (um einen Initialisierungsfehler der Leitung auszuschließen) und das hat sogar funktioniert…

          1. Das kann ich mir gut vorstellen! Ich freue mich übrigens sehr, dass ihr den Weg hierher gefunden habt und mir nicht den Rücken kehrt! Ganz dickes Dankeschön dafür!

          2. Nichts zu danken, was will man auch machen, wenn Du uns da so einfach versuchst zu entkommen. 🙂

            Blöd ist irgendwie, dass man keine Benachrichtigungen über neue Einträge oder auch Kommentare bekommt, ich muß arg aufpassen, regelmäßig reinzugucken.

          3. Ich wollte Euch ja nicht loswerden, nur mich ein bisschen besser entfalten können. Du kannst den Blog per RSS-feed abonnieren, hab extra einen Button dafür auf die Startseite gezaubert.

  2. Gröhl – ich halt mich eigentlich nicht für “soooo” abhängig – aber als ich mal kein Telefon und kein Internet hatte (und wenns welches gab, hatte ich statt des bezahlten DSL 6000 dann DSL 100 – auch DSL Trampelpfad genannt statt Datenhighway – DSL 100 ist so langsam, daß Du die Byte einzeln auf dem Bildschirm erscheinen siehst….) und ein langes Wochenende vor der Tür stand, wurde ich gegenüber der Hotline nach einer Weile ebenfalls sehr sehr deutlich – und im Nachgang gabs noch so einiges, was letztlich einen Wechsel des Telefonanbieters zur Folge hatte…..

    1. Hab’s Herrn Brathahn eben schon gesagt, gilt auch für Dich: Ich freue mich, dass Du hier vorbei guckst in meinem neuen Blogzuhause. Ihr hättet mir sehr sehr gefehlt. 🙂

  3. Ich hatte eigentlich lauter höfliche und freundliche Menschen am Telefon. Das mit dem Datenschutz kann ich sogar noch verstehen. Aber leider hab ich keine richtige Auskunft gekriegt. Jetzt hab ich halt nen Neuen. Sein Name ist Box. Fritz Box. 🙂

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