Auch wenn ich mich immer wieder dagegen zu wehren versuche, Unbekannte aufgrund ihrer Erscheinung in eine Schublade zu stecken, mache ich es wohl unbewusst doch.
Und andere machen’s wohl auch mit mir.
Am Freitag wollte ich mir eine Schreibmappe kaufen. In der Mittagspause betrete ich also den Schreibwarenladen meines Vertrauens. Die Verkäuferin guckt mich an. Taxiert mich nur einen kurzen Augenblick. Ich trage eine hellgraue Stoffhose, graue Pumps, Perlenkette, große Bree-Tasche. Keine fünf Sekunden später kommt sie lächelnd hinter ihrem Tresen vor und fragt, ob sie helfen kann. Schreibmappen, ja selbstverständlich, gerne, jede Menge. Sie zückt zu meinem Entsetzen ein Schlüsselchen und öffnet eine Glasvitrine. Die Mappen, die sie mir zeigt, sind alle sehr schön. Und sehr teuer, zumindest teurer als das, was ich ausgeben wollte. 85 Euro. 125 Euro, dafür mit Ziernaht. 219 Euro, Lammnappa, handgegerbt. Mein Blick fällt auf das Preisschild der einzigen Mappe mit Reißverschluss. 29,90. “Oh, die ist ja praktisch, so ein Reißverschluss ist ja toll, dann kann sicher nichts verloren gehen! Die nehm’ ich”.
Die Verkäuferin sucht mit den Augen die ganze Vitrine nach Reißverschlüssen ab, findet aber nichts. “Nun ja”, meint sie bedauernd, “Leder ist das halt nicht…” Ich antworte: “Oh… ach so… aber… naja, der Reißverschluss imponiert mir einfach. Ich nehme TROTZDEM diese.”
Sie gibt auf und räumt die hangenähten, handgegerbten, handgeklöppelten Mappen wieder in ihre noble Unterkunft.
Ich zahle und freue mich über die ausführliche Beratung.
Fazit: Kleider machen Leute. Aber das ist ja nix Neues.