Heute morgen. Rote Ampel. Das Auto vor mir bremst, ich tue es ihm gleich. Die Ampel lässt sich Zeit und ich nutze selbige, um die vielen Aufkleber auf dem Auto vor mir zu studieren. Ein Fisch klebt rechts unten, ein Hinweis auf Religiosität. Oben links und oben rechts kleben rote Warndreiecke. “Sarah an Bord”, “Hannah an Bord”. Unten links klebt der Europapark, daneben ein “D”, daneben eine wie eine Ballerina geformte Insel.
Fazit: Eine religiöse Familie, die ihren beiden Töchtern biblische Namen gibt und aus Sorge um deren Wohlergehen Warnschilder anbringt, damit auf der Fahrt in den Europapark oder in den Urlaub nach Sylt jeder der wertvollen Fracht gewahr wird und Rücksicht nehmen möge.
Ich stelle mir ein Paar vor, Mitte oder Ende 30, er ist auf einer Behörde tätig, sie ist Lehrerin. Die vier leben in einem Holzhaus, ernähren sich gesund, kaufen beim Biobauern auf dem Wochenmarkt und beten vor dem Essen.
Grüne Ampel. Der Verkehr rollt wieder an, der Gegenverkehr auch. Ein LkW zischt und brummt langsam vom Haltestrich los. zwei Nummernschilder und die Aufschrift auf der Plane verraten – “Juri” und “Moppelchen” sind für DHL unterwegs.
Dieses Paar ist ein bisschen fülliger, hat in meiner Vorstellung zwei Katzen daheim, sein Hobby ist Angeln, ihres ist Handarbeit und Katzenpflege.
Kurz vor der Firma. Noch ne rote Ampel. Vor mir steht ein roter Kleinwagen. Getönte Heckscheibe. Darauf prangt ein weißer Schriftzug “Kissing dynamite”. Ich stelle mir augenblicklich eine wasserstoffgetunte Blondine vor, die ihr Top eine Nummer zu klein und somit einen Babyspeckring zur Schau trägt und am liebsten “mit Freunden chillt” und sich die Nägel macht.
Der rote Kleinwagen blinkt rechts in die Einfahrt einer Apotheke.
Die Tür geht auf. Das erste, was ich von Kissing dynamite sehe ist eine Hand, die sich am Türrahmen stützt.
Das küssende Dynamit ist zwischen 70 und 80 Jahre alt, trägt silbergrau oben und beige und altrosa unten und hat Probleme beim Gehen.
Meine Ampe