Es hätte ein Montagmorgen sein können, wie jeder Montagmorgen davor. Wenn das Kind nicht ohne Vorwarnung und scheinbar innerhalb weniger Stunden seinen Wortschatz um Fäkalvokabular erweitert hätte. Und wohl in der Nacht auf Montag für sich beschlossen hätte, dass “kacka” eine adäquate Vorsilbe für so ziemlich alles ist. So saß ich mit der kleinen Prinzessin beim Frühstück und lauschte mit zunehmendem Frust ihren Ausführungen. Das Kackamüsli schmeckte kacka und die Kackamilch auch. Jedesmal, wenn sie das K-Wort sagte, blitzte es in ihren blauen Augen. Wann nur hatte sie gemerkt, dass Mama das Wort weit weniger lustig findet als sie? Die Sache mit der Erziehung kommt immer ohne Vorwarnung. Innerhalb von zehn Minuten hat sich an unserem Frühstückstisch soviel Kacka angehäuft, dass es zur Düngung eines veritablen Ackers locker gereicht hätte. Was dazu führte, dass ich mich immer öfter sagen hörte: “Das sagt man nicht. Bitte lass das. Das Wort ist doof. Kacka gehört aufs Klo und nicht in Deinen Mund. Man sagt zum Essen nicht kacka. Und zu Menschen auch nicht. Bitte…”
Ich hörte mir eine Weile selbst zu. Dann beschloss ich, Taktik 2 anzuwenden: Ignorieren. Ich schwieg also stoisch zu sämtlichen fäkallastigen Ausführungen, sagte nichts zum Kacka-Kindi, nichts zu der Kacka-Brotdose mit der Kacka-Birne drin und atmete in die offene Spülmaschine hinein, wie ein Hyperventilierender in seine Papiertüte. Bis ich mich irgendwann ruckartig umdrehte, mit der flachen Hand auf die Spüle haute und lauter als beabsichtigt sagte “Hör jetzt auf damit! Du nervst!”
Das Kind guckte konsterniert. Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. “Du auch. Kackamama.”
Ich riss mich zusammen und brachte die Kleine in den Kindergarten, die Brutstätte, aus der sie diese Worte begeistert mitbringt, um zuhause ihre Wirkung zu testen. Mir ist klar, dass das so gut wie alle Eltern mitmachen. Dass das (hoffentlich) alle stört und dass das wieder vorbeigeht. Aber während ich die Ruhe in der Küche genoss, machte mir etwas ganz anderes zu schaffen. Ich hatte meinem Kind gesagt, dass es mich nervt. Und leider war das in diesem Moment sehr ehrlich.
Nervt Erziehung manchmal beide Seiten?
Darf man sein Kind nervig finden? Darf man für einen kurzen Moment der innigsten Mutterliebe zum Trotz resignieren und sein eigen Fleisch und Blut ätzend finden? Wie viel Kacka ist zuviel für die von tiefer Zuneigung geprägte mütterliche Toleranzschwelle? Darf man beim Frühstück sitzen und sich ganz tief drinnen nach Ruhe oder zumindest nach einem Gesprächspartner sehnen, der nicht jedes seiner Hauptwörter mit Beispielnamen für Hinterlassenschaften garniert? Und sich wünschen, die doch so geliebte Brut möge endlich ein Einsehen haben und sich wieder normal benehmen? Ich habe jemanden gefragt, der es wissen muss – nämlich meine Mutter. Ob sie mich auch manchmal nervig fand. Ob ich sie manchmal so geärgert habe, dass sie dachte – “oh Mann, wann hört das bitte wieder auf?”. Sie guckte mich schief von der Seite an. “Na klar. Du hast mich auch genervt. Ganz schön oft sogar. Aber das änderte ja nichts daran, dass ich dich liebe.”
Und so kam ich für zu einem recht einfachen Schluss – ja, darf man. Das Band zwischen Mutter und Kind ist stark genug, dass man sich während der Erziehung (von der die Kinder im Idealfall ja gar nix mitkriegen) auch mal doof finden darf. Weil man tief im Herzen weiß, dass Phasen vorrübergehen. Ich bin mir sehr sicher, mein Kind findet mich manchmal auch von Herzen ziemlich ka… ihr wisst schon. Trotzdem kuschelt es abends an meine Schulter und drückt mir einen zarten Kuss auf die Wange. So kacka kann ich dann wohl doch nicht sein. Und dass ich mich beim Frühstück noch geärgert habe, ist spätestens in diesem Moment Schnee von gestern.
Das gleiche habe ich mich vor ein paar Tagen gefragt. Manchmal weiß man auch nicht warum manche Sachen plötzlich sind wie sie sind – wir haben grade jedes Mal nen mittelschweren Aufstand beim Wickeln. Das Kind schreit, wälzt sich hin und her und und schiebt meinen Arm weg. Ist besonders toll, wenn das Kind Kacka (ich hoffe du verzeihst mir das Wort) gemacht hat. Und letztens ist mir dann der Geduldsfaden gerissen und mir ist beim Schimpfen die Lautstärke entglitten – der Mini zuckte kurz zusammen und motzte mich dann in Babysprache an.
Und in dem Moment hat er mich so irre genervt und ich dachte, wie schön es jetzt wäre ne Woche ALLEIN in Urlaub zu fahren. Aber ich weiß genau, dass ich ihn spätestens in ein paar Stunden total vermissen würde und ne Woche könnte ich gar nicht erst aushalten. Das nerven gehört also ganz klar dazu.
Danke. Ich wollte ihr nicht sagen, dass sie mich nervt. Eigentlich wollte ich im Grunde, dass sie mich einfach gar nicht nervt. Aber das Gefühl war plötzlich sehr übermächtig. Schön, dass ich damit nicht allein bin. ☺
Wir sind halt auch nur Menschen und da einen prinzipiell ja jeder nerven kann – warum nicht auch das eigene Kind? 😉
Ich könnte mir sogar vorstellen, dass das noch schlimmer wird. Am Anfang sind sie ja noch so klein – da findet ma nsich eigentlich schon fast selbst unfair, dass sie einen überhaupt nerven.
Aber wenn sie dann irgendwann mal größer sind, ständig rummeckern und dann mal in die Pubertät kommen – puh, ich glaube, dann fangen die erst richtig an zu nerven. 🙂
Da mach ich dann in zehn Jahren nen eigenen Beitrag dazu. Bestimmt. ?