Die Geschichte nahm vorgestern ihren Anfang.
Ich war mit Mami bummeln in der Stadt. Ob es an einem magnetischen Erdfeld oder an einem inneren Zwang liegt, ich kann es nicht mehr sagen. Denn wie in einem Sog fühlte ich mich zum Schaufenster des Schuhladens hingezogen. Und da hörte ich die Stimme zum ersten Mal. Sie hauchte “Hallo”. Ich schaute links und rechts, musterte meine Mama eingehend… nein, da war keiner, der mich hätte meinen können. Und doch war die Stimme noch da: “Hal-o-ho”, flüsterte sie wieder. Da erkannte ich es: Die Stimme ging von einem Paar güldener Sandalen aus!
Ich guckte nur kurz hin und gleich wieder weg. Hübsch waren sie ja. Aber ne. Nicht schon wieder Schuhe. Diesmal nicht. Ich ignorierte fleißig das lockende, säuselnde Anbiedern der außerordentlich hübschen, hochhackigen… na, ihr wisst schon.
Wir schafften es, uns von dem Schaufenster loszueisen. Die Stimmen in meinem Ohr wurden mit jedem Schritt leiser. Als ich abends im Bett lag, war ich geradezu stolz auf mich. Bis gestern morgen. Die Stimmen waren wieder da. Und das, obwohl zwischen meinem Bett und dem Schaufenster mindestens fünf Kilometer lagen. Die Stimmen waren traurig. “Einfach so hast Du uns stehen lassen”, flüsterten sie. “Dabei haben wir dir doch gefallen, oder?”… “Ja, schon”, wollte ich mich gerade rechtfertigen, da begann die Stimme mir zu drohen! “Stell Dir vor, eine andere Frau kauft uns! Mit Hornhaut und ungepflegten Zehennägeln!” Mir wurde ganz schlecht. Diese hübschen goldenen Sandalen an ungepflegten Frauenfüßen, die sie gar nicht zu schätzen wussten? Mit einem unguten Gefühl beendete ich das Frühstück. Mein Verstand sagte unaufhörlich Dinge wie “Du hast schon vier Dutzend Paar Schuhe.” “Kein Mensch braucht GOLDENE Sandalen”. “Bestimmt sind sie unbequem”.
Womöglich waren sie ja schon längst verkauft! Ich könnte ja mal… nein. Ich kaufe keine Schuhe. Ich fuhr also in die Stadt. Und schlenderte durch etliche Geschäfte, immer darauf bedacht, die Stimmen zu ignorieren oder durch andere zu ersetzen. Aber weder von lindgrünen Tops noch von weißen Jeans, noch nicht mal von glitzerbestickten Geldbörsen ging irgendein Mucks aus. Nichts. Ich konnte geradezu ekstatisch feststellen, dass genau DIE Jeans, die es letztens nicht in meiner Größe gab, endlich wieder ganz oben auf dem Hosenstapel lag. Aber nichts. Die Jeans sagte keinen Piep. Na schön. Ich lauschte also nochmal in mich hinein. “Du willst es doch auch”, sagten die Stimmen da. Ich konnte nicht anders. Verließ den Laden mit der lindgrün-Glitzer-Superjeans-Auslage und marschierte geradewegs auf den Schuhladen zu. Um ein Haar hätte ich “Ich kooommeee” gerufen, als ich die Ladentür stürmte. Der Handel war schnell perfekt. “Diese Sandalen in Größe 37”, die Verkäufern hechtete gehorsam ins Lager, die Schuhe passten, sehen wunderbar aus, bezahlt, eingetütet, raus aus dem Geschäft. Und die Sandalenstimmen? Sie schweigen. Die Schuhe geben keinen Ton mehr von sich. Sie sehen einfach nur noch gut aus an mir! Nur die Stimme in meinem Ohr, die ist noch da. Kurz nachdem ich Zuhause war, hab ich sie wieder gehört. “Jetzt hast Du ja schon wieder Schuhe gekauft. Musste das sein?”, fragte sie mich spöttisch. “Halt die Klappe”, habe ich zu mir gesagt. Und die Sandalen glitzerten zustimmend.