Sprich mal wieder!

Vor ein paar Tagen habe ich für unsere Lokalzeitung einen kurzen, launigen Artikel geschrieben über Dialekt. Ich habe ein paar besonders hübsche, dem Schwäbischen absolut eigenen Worte aufgezählt und in dem kurzen Abriss auch erwähnt, dass meine Tochter diese Worte gern und mit Inbrunst gebraucht. Noch nie habe ich so viele Leserreaktionen bekommen, wie darauf. Eine Frau schrieb mir, sie bewundere, dass ich mein Kind mit Dialekt großwerden lasse. Aus ihrer Erfahrung als langjährige Erzieherin könne sie mir versichern, dass Eltern in der sprachlichen Erziehung ihrer Kinder alles unternähmen, sie mit Schriftdeutsch großwerden zu lassen. Dialekt, schwäbisch, Mundart? Verpönt. Der Grund für diese Regeln: Die Kinder hätten es nachher in der Schule viel leichter, wenn sie sich verständlich ausdrücken könnten. Ihre eigene Erfahrung jedoch zeige, dass Kinder, die so “zweisprachig” aufwüchsen wie unsere Tochter, überhaupt kein Problem mit der Sprache hätten.

Es war sicher Zufall, aber in derselben Zeit landete ein Schreiben im Kindergartenfach von Hannah. Eine Pädagogin käme in den Kindergarten und würde sich alle gleichaltrigen Kinder in kurzen Kleingruppengesprächen einmal anhören. So könne man frühzeitig auf eine sich abzeichnende s-sch-Schwäche reagieren. Meine Tochter verkündete, sie gehe da nicht hin. Sie tat es in diesem einen bestimmten Ton, der mir klar machte, dass sie es absolut ernst meint. Ich redete ihr gut zu und versprach eine Überraschung, wenn sie den Termin doch wahrnimmt. Am Ende hat es ein bisschen sanftem, mütterlichem Zwang bedurft, dass wir am Montagnachmittag pünktlich im Kindergarten aufschlugen. Die Kleine war zwar absolut überzeugt davon, dass der Nachmittag mit der Sprachpädagogin vergeudete Lebenszeit ist, aber wenigstens blieb sie. Als ich sie zwei Stunden später wieder abholte, war sie ganz gelassen. Sie hätte Knabberfische durch einen Strohhalm ansaugen sollen, fand das zwar furchtbar albern, tat aber, wie ihr gehießen. Außerdem hätte die Frau mit ihr Memory gespielt.

Am Tag danach nahm die mich die Erzieherin kurz beiseite. Die Sprachexpertin habe abgewunken. Von s-sch-Schwäche keine Spur. Alles wunderbar. Meine Tochter indes bestand darauf, mir dabei zuzusehen, wie ich den Zettel, auf die übrigen Termine vermerkt waren, vor ihren Augen in den Mülleimer werfe. Viel hätte nicht mehr gefehlt und sie hätte ein feierliches Lagerfeuer im Garten verlangt.

Was aber fördert die Sprache der Kinder wirklich? Ich bin kein Experte, finde aber: Reden, reden, reden. Und vorlesen. Ein Kind, das wie nebenbei sprachlichen Input bekommt, wird zum Spiegel seiner Umgebung. Ich stelle das fest, weil Hannah Worte benutzt, die für eine Fünfjährige eher ungewöhnlich sind und deren Herkunft ich bei Omas und Opas vermute. Neulich beispielsweise schnupperte sie an Omas Essen und sagte “Oooooma, das duftet hiiiimmlisch.” Ähnliches dachte sie wohl auch von ihren nackten Füßen, die sie mir abends auf dem Sofa entgegenreckte. Ich verzog das Gesicht und hielt mir theatralisch die Nase zu, aber das Kind sagte “Was denn, was denn, die riechen ganz fabelhaft.” Mein Lieblingswort ist allerdings noch altmodischer: Passiert etwas Außergewöhnliches, kommentiert Hannah es mit “Sapperlot!”

Aber natürlich bleibt es nicht beim häuslichen Dialekt. Wenn ich Bücher vorlese, hört sie Hochdeutsch und auch im Kinderfernsehen (ja, mein Kind darf hin und wieder fernsehen) wird nach der Schrift gesprochen.

Denn nicht nur die direkte verbale Kommunikation scheint die sprachliche Entwicklung eines Kindes zu prägen. Als wir neulich über meine morgendlichen Strubbelhaare auf die Serie “Fraggles” kamen (kennt die noch jemand?) habe ich eine Folge auf youtube gefunden und wir haben sie zusammen angeschaut. Mir ist aufgefallen, dass die Sprache viel anspruchsvoller war, als das, was wir heute im Kinderfernsehen hören. Es ist also auch ganz sinnvoll, nicht nur zu gucken, sondern auch mal genauer hinzuhören, was die Kids so konsumieren.

Wer mal reingucken mal, es war diese Folge:

Ich sage nur: “Fürwahr geliebtes Weib!”

Übrigens schlägt Wikipedia als Synonym für Sapperlot “Leck mich fett” vor. Saperlott mag altmodisch sein, aber charmanter allemal.

Geliebte kleine Gewitterwolke … Teil 2

Teil 1 gab es hier.

Du bist wieder da. So zuverlässig wie das Aprilwetter, das unser Haus und unseren Garten gerade in eine dicke Schneeschicht hüllt, so bist auch Du wieder mal zu Gast. In wenigen Stunden hast Du aus unserem kleinen großen Mädchen einen garstigen Seeigel gemacht, der die Stacheln ausfährt, sobald er Gefahr wittert. Oder Unbill jeder anderen Art. Oder … manchmal auch einfach so. Der Orangensaft ist alle? Scheißkackablöd. Du sollst Deine Schuhe selbst aus der Garderobe holen? “Oooaar Mama, ich KANN DAS NICHT.” (Scheißkackablöd!) Den Schlafanzug anziehen, ausziehen, die Jacke aufräumen, den Teller aus der Schublade holen – was auch immer ich von Dir möchte, Du rollst mit den Augen und es fehlt nicht mehr viel zur Klage wegen Kinderausbeutung. Ich werde mich hüten, Dir zu erklären, was das bedeutet. „Geliebte kleine Gewitterwolke … Teil 2“ weiterlesen

“Wir müssen reden…”

…sagte Hannahs Erzieherin neulich mit einem bedeutungsschweren Blick und sah mir ganz tief in die Augen. Während ich in Gedanken schon sämtliche Erziehungsfehler durchging, hatte sie meinen entsetzten Blick wohl bemerkt und schob schnell ein “nix Wildes, das Entwicklungsgespräch steht halt mal wieder an”, hinterher. Ach. so.

Und so fand ich mich im Kindergartenbüro auf einem dieser Miniaturstühle wieder und lauschte mit zunehmender Begeisterung der Entwicklungsgeschichte meines Kindes. Nicht, dass das kindliche Werden bei uns zu hause gänzlich an mir vorbeiginge, aber die Fortschritte und Eigenheiten des eigenen Kindes aus dem Mund einer anderen Person zu hören, ist nochmal eine ganz andere Nummer. „“Wir müssen reden…”“ weiterlesen

“Hier ist Ihre Kinderentwicklungs-Hotline …

… kann ich Ihnen behilflich sein? Ein Update beim Modell Kind 3.5? Ja, das haben wir Ende letzter Woche aufgespielt. Wie … fehlerhaft? Sie haben Mängel festgestellt, die vor dem Update nicht aufgefallen sind? Kind 3.5 wacht plötzlich mit schlechter Laune auf? Das Feature “Tischmanieren” ist verschwunden? Stattdessen finden sich unerwünschte Fäkalausdrücke im Sprachmodul? Haben Sie schon unser FAQ gelesen? Nein? Bitte überprüfen Sie  zunächst folgende Punkte, vermutlich handelt es sich schlicht um einen Bedienfehler. „“Hier ist Ihre Kinderentwicklungs-Hotline …“ weiterlesen

Jetzt, später, viel später?

Wenn es um mein Kind geht, bin ich relativ unbeeindruckt von “guten Ratschlägen” von außen. Wir handhaben unseren Alltag so, wie es sich für uns richtig anfühlt. Dinge in unserem Tempo zu tun, Möglichkeiten auch mal auszulassen (kein Pekip, kein Elba, kein Säuglings-Feng-Shui), das fühlt sich für uns einfach richtig an.

Trotzdem begegnen mir nicht nur als bloggende und lesende Mama, sondern auch als Mutter in der Gesellschaft Familien, die Dinge grundlegend anders machen als wir. Ist ja völlig normal. Was bei uns wunderbar funktioniert, funktioniert bei anderen vielleicht überhaupt nicht. Was wir uns gar nicht vorstellen können, ist in anderen Familien das Normalste der Welt. Jeder so, wie er es für richtig hält. „Jetzt, später, viel später?“ weiterlesen

Kreativ, sprachbegabt, fantasievoll … meins!

Keine Mama ist objektiv, wenn es um ihr eigenes Kind geht. Wir Mütter sind übereuphorisch wenn etwas gut klappt, überbesorgt wenn den Kurzen etwas fehlt, übervoll mit Liebe … weil halt.

Als Hannah sich so problemlos innerhalb von drei Stunden in den Kindergartenalltag eingefügt hatte und ihr die Eingewöhnung irgendwie leichter gefallen ist, als mir, wurde mir langsam bewusst, dass das Kind gar nicht mehr so klein ist. „Kreativ, sprachbegabt, fantasievoll … meins!“ weiterlesen

Ich und die anderen…

Ich bin nicht wie die anderen. Diese Einschätzung ist im Grunde nichts weiter als ein diffuses Gefühl, aber eines, das mich seit früher Kindheit begleitet. Ich war noch nie ein besonders guter Teamplayer, ich war nie Klassensprecher, nicht mal Klassenclown. Als Kind, während der Grundschulzeit (und im Grunde auch später) hatte ich keinen großen Freundeskreis um mich herum. Es waren immer einzelne, ausgesuchte Menschen, die an meiner Seite waren. Die allermeisten von ihnen sind es bis heute. Woher das Gefühl kam, anders zu sein, weiß ich nicht. Es war einfach da, ungefragt. Ich war schüchtern, still und grauslich unsportlich. Die Letzte, die im Sportunterricht in eine Mannschaft gewählt wurde, die, mit deren Turnbeutel in der Umkleidekabine Fußball gespielt wurde. Ich hätte mir sehr lange nichts sehnlicher gewünscht, als offen, schlagfertig und beliebt zu sein. „Ich und die anderen…“ weiterlesen