“Das klemmt”, sagte Hannah neulich und zog mit unleidigem Gesichtchen an ihrem Pulliärmel. Ich betrachtete mein großes Mädchen verdutzt und musste lachen. Einer ihrer liebsten Pullis war klammheimlich zu klein geworden, die Ärmel lagen spack an und unter den Armen … naja, klemmte es eben. Wir sortierten also aus. Einen halben Nachmittag lang. Aus einem gut gefüllten Kleiderschrank wurde ein sehr überschaubares Sortiment.
Je mehr einstige Lieblingsstücke in den großen Karton wanderten, desto mehr kam ich ins Grübeln. Nicht nur meine Tochter ist aus Dingen hinausgewachsen, auch ich. Nur nicht körperlich (puh!).
Mein Job
Hinter mir liegt das erste komplette Jahr zurück im Beruf. Ich weiß, dass ich in Sachen Kinderbetreuung privilegiert bin mit zwei fitte Großelternpaaren. Trotzdem haben wir das auch als kleine Familie gut hinbekommen. Und nicht zuletzt hat mich diese Aufgabe enorm geprägt, gestärkt, wachsen lassen. Ich liebe meinen Job, ich habe tolle Kollegen, ich bin sehr dankbar, dass ich genau da (wieder) gelandet bin, wo mein Herz hingehört. Im Juni ist mir nach monatelanger Recherche (ich habe das Investigative für mich entdeckt) ein doppelseitiger Artikel gelungen, mit dem ich mich auf Anraten von Chef und Kollegen auf Preise beworben habe.
Ich rechne mir keine Chancen aus, die Luft ist dünn ganz oben und jeder weiß, wie undankbar der vierte Platz ist. Natürlich würde ich mich freuen, wenn wir irgendwo zum Zug kommen – aber ich ziehe allein aus dem Wissen um meine Ausdauer und um meine Fähigkeiten enorm viel Energie und Mut, weiterzumachen. Nicht zuletzt habe ich genau wegen dieser Recherche mein Pensum von 60 auf 70 Prozent aufgestockt und diese Entscheidung noch keinen Tag bereut.
Meine Familie
Nicht nur auf mich bin ich stolz, sondern auch auf meinen Mann und mein Kind, die meinen Job und seine oft widrigen Arbeitszeiten mit Verständnis und Geduld mittragen. Apropos Geduld: Die ist auch bei Mama gefragt. Die Kurze steckt mitten in der Zahnlückenpubertät, die Diskussionen mit ihr sind wesentlich anstrengender als mit jedem noch so hartnäckigen Informanten, der hinter jedem behördlichen Pups einen handfesten Skandal wittert. Gerade war sie noch gut gelaunt und hat fröhlich im Auto geplappert, da wandert Pluto ins dritte Haus des Saturn und – zack – über dem Kind hängen schwarze Wolken und es donnerwettert gegen die blöden Eltern, die sie sowieso nicht mehr lieb hat und überhaupt und TROTZDEM. (Zwei Minuten später ist übrigens alles wieder vergessen. Ich habe trotzdem ein bisschen Angst vor der echten Pubertät. Just saying.)
Und ein bisschen Wehmut schwingt bei allem zudem mit – denn das letzte Kindergartenjahr ist angebrochen, nächstes Jahr um diese Zeit habe ich eine Erstklässlerin hier sitzen. Zeit wird’s, denn das Kind rechnet schon erstaunlich gut im Zehnerbereich und fängt an zu lesen und zu schreiben. Aus jeder Umbruchphase geht eben auch eine Entwicklung nach vorn hervor.
Mein Äußeres
Stichwort Umbruch: Ich bin optisch dieses Jahr zurück nach blond geswitcht. Mein kurzer Abstecher nach schokoladenbraun war eine Phase, die mir irgendwann zu langweilig wurde. Während blond zu braun so gar kein Problem war, war der Rückweg ein wenig karottig. Aber mitterweile ist die Blondine wieder perfektioniert und trägt den Schopf länger als lang zuvor. Mal sehen, wie lange ich sie wachsen lassen mag. Im Moment ist mir nicht nach Schere. Länger und schöner als je zuvor sind wohl auch meine Nägel. Seit ein paar Wochen trage ich gelverstärkte Nägel in schlichtem French-Design und liebe es sehr. Vielleicht ist auch das ein Zeichen von Veränderung – mir ist mehr denn je nach femininen Schnitten und klassischen Farben. Der kleine Punk hat die Lady in sich entdeckt. (Böse Zungen würden sagen, das bringt das Alter mit sich. Aber die Löcherjeans und die Highheels sind nach wie vor treue Begleiter, nimm das, Alter!)
Mein Inneres
Und sonst so? Ich habe – auch durch meinen kommunikativen Beruf – viele tolle Menschen kennen gelernt, die mein Leben reicher machen. Mein Mann und ich haben es geschafft, uns hin und wieder kinderlose Freiräume zu schaffen für einen Kaffee oder ein Essen auswärts. Zu Weihnachten gab es nichts Materielles, sondern Zeit miteinander – Karten fürs Vitra-Designmuseum für mich, Konzertkarten für Nena für ihn.
Wenn mich jemand fragt, was 2019 besser laufen könnte – ich bin dankbar, wenn es einfach so gut bleibt, wie 2018 war. Ich habe dieses Jahr viel über mich gelernt. Ich bin ein Stück weit kompromissloser geworden, gebe mich nicht mit grau zufrieden, wenn ich schwarz oder weiß will. Ich kommuniziere klar was ich will und erwarte nicht, dass andere Menschen meine heimlichen Wünsche erahnen. Das führt nur zu enttäuschten Erwartungen. Ich glaube im Rückblick, ich bin in meiner Haltung zu Dingen klarer geworden und habe auf mein Bauchgefühl zu hören gelernt. Ich habe meine Stärke und mein Potenzial in diesem Jahr erfahren, beides lässt mich nicht größenwahnsinnig werden, sondern gibt mir das Vertrauen, dass ich zu vielem in der Lage bin, wenn ich es wirklich will. Dinge passieren ohne meinen Einfluss, aber ich mit ihnen umgehe, entscheide ich ganz alleine.
Soll also alles so bleiben? Aber nein! Ich habe viel vor. Kleinigkeiten, Großigkeiten. Ich möchte unbedingt einmal selbst Sushi machen und überhaupt mehr und Neues in der Küche ausprobieren. Ich möchte reisen und den Geburtsort meiner Oma im heutigen südlichen Slowenien besuchen. Die erste Reise ist schon gebucht, allerdings nur zwei Tage: Im März geht’s mit meiner Mama nach Mailand. Italien geht immer. Ich freue mich sehr. Und ansonsten? Weiter wachsen.
Und vor allem möchte ich im Dezember 2019 sagen können – ich bin aus dem Jahr rausgewachsen. Kommt ihr mit?